Rudolf Spielmann Platz in Wien eröffnet

Der "Rudolf-Spielmann-Platz" wurde am 10. Juli in Wien feierlich eröffnet. Der neubenannte Platz liegt unmittelbar vor dem Haus des Schachsports neben dem Wiener Praterstadion. Die Feierlichkeiten im Rahmen der Makkabi-Spiele wurden mit einem Simultan der besten Schachspielerin der Welt gekrönt. Judit Polgar holt 19 von 22 Punkten. Siege gelingen Markus Lapidus und Michael Ernst, Manfred Prager darf sich über eines von zwei Remisen freuen. Zuvor erfolgte die Eröffnung des "Rudolf-Spielmann-Platzes" mit Reden von Dr. Ariel Muzicant (Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde), Frau Leonie Christianson (Großnichte Spielmanns) und Stadträtin Mag. Sonja Wehsely. Die Gedenkrede an den in Kriegsjahren vertriebenen Spielmann hielt Österreichs Schach-Historiker Michael Ehn. Seine Rede mit viel Wissenswertem zu Spielmann gibt es unter "Weiterlesen". Ehn hat auch 1996 das Buch "Rudolf Spielmann - Porträt eines Schachmeisters" publiziert. Dieses Werk holt Spielmann aus der Vergessenheit und kann in Ehns Schach-Shop (siehe www.schachundspiele.at) direkt bestellt werden. (wk)
Bericht beim LV Wien
Fotos der Eröffnung in der ÖSB Fotogalerie


Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Bild 1 Schopf 3


Wer war dieser Rudolf Spielmann, dessen wir heute gedenken und nach dem wir diesen Platz benennen? Allein die Tatsache, dass wir uns diese Frage stellen müssen, verweist auf jene tragischen Ereignisse der Jahre 1938-1945, nach denen Spielmann unbekannt verstorben und gut vergessen blieb.

Denn in den Jahren vor 1938 war Rudolf Spielmann sehr bekannt, sein Name weit über die Kreise des Schachspiels hinaus populär.

Doch beginnen wir am Anfang. Rudolf Spielmann war ein echter Wiener und das nicht nur deshalb, weil er in Wien und zwar hier im 2. Bezirk, der Leopoldstadt, in der Heinestrasse Nr. 12 geboren wurde, sondern auch deshalb, weil beide Elternteile wie bei echten Wienern üblich, aus den weitläufigen Provinzen der österreichisch-ungarischen Monarchie stammten.

Bild 2 Stammbaum

Der Vater, ein Journalist aus dem mährischen Nikolsburg, die Mutter, eine Schriftstellerin, aus Veröcze in Slawonien gebürtig, lernten einander in Wien kennen und heirateten 1879. Im Lauf der nächsten 13 Jahre wurden ihnen 6 Kinder geboren, drei Mädchen und drei Knaben, wobei Rudolf der Zweitälteste war. Obwohl die Familie ziemlich arm war, versuchten die Eltern alles, um ihren Kindern von früh an den Zugang zu Wissenschaft, Kunst und Musik zu eröffnen.

Der Vater, der gern Schach spielend in den Kaffeehäusern saß, brachte den beiden ältesten Söhnen um das 5. Lebensjahr das Schachspiel bei. Beide waren begeisterte und auch begabte Schachspieler, doch stand zunächst die musikalische Begabung Leopolds, des ältesten der Geschwister, im Mittelpunkt.

Bild 3 Leopold Spielmann 1887


Er galt als Wunderkind am Klavier, von dem selbst Anton Rubinstein begeistert war. Dieser machte ihn beim kaiserlichen Hof bekannt, wo Erzherzogin Marie Valerie seine Gönnerin wurde.

Bild 4 Spielmann bei Hofe

Der „kleine Spielmann“ wurde einige Male mit seiner Mutter eingeladen, um Proben seines Könnens vor Kaiser Franz Joseph zu geben, was auch im Wiener Extrablatt stets gebührend erwähnt wurde. Rudolf stand so anfangs im Schatten des Talents seines Bruders, den er im Übrigen sehr bewunderte.

Bild 5 Rudolf Spielmann 1903

Rudolf sollte Kaufmann werden, doch nach dem frühen Tod der Mutter im Jahr 1902 sagte er dem für ihn unbefriedigenden Beruf adieu und begann in München, wo seine Schwestern mittlerweile Engagements als Schauspielerinnen hatten, und in Wien als Schachprofessional und Schriftsteller zu leben.

Genau 40 Jahre lang dauerte seine Schachkarriere. Er spielte bei 160 bedeutenderen Turnieren, wovon er 33 gewann und absolvierte 61 Wettkämpfe, von denen er 43 für sich zu entscheiden wusste. Dazu kamen unzählige Simultanvorstellungen in fast allen Ländern Europas und in den USA. Mehr als 2000 ernste Partien zählt die Statistik – alles sehr beeindruckende Zahlen. Es ist aber hier weder die Zeit, noch der Ort, um alle seine schachlichen Erfolge aufzuzählen, doch möchte ich nur an seine Triumphe in den Großmeisterturnieren von Abbazia 1912 (Gambitturnier), Wien 1913 (Jubiläumsturnier des Wiener Schachklubs), Baden 1914 (Gambitturnier), Stockholm 1919, Wien 1926 (Trebitsch-Gedenkturnier) und vor allem Semmering 1926 vor Aljechin, Vidmar, Nimzowitsch und Rubinstein erinnern.

Bild 6 Rudolf Spielmann 1926


Das allein wäre schon Grund genug, um Spielmann als einen der wichtigsten Exponenten der Schachkunst zu feiern. Doch es kam noch etwas hinzu, das seinem Namen zu großer Popularität verhalf. Und das war sein Spielstil: Nicht der nüchterne Zugang des 20. Jahrhunderts mit seiner Akkumulierung kleiner positioneller Vorteile basierend auf dem Stil des ersten Weltmeisters Wilhelm Steinitz, sondern vielmehr die Romantik des 19. Jahrhunderts zog ihn an. Er spielte Eröffnungen, die bereits tot geglaubt waren, er opferte schon in den ersten Zügen Bauern und Figuren, was ihm den Spitznamen eines „letzten Romantikers“ oder eines „Ehrenritters des Königsgambitordens“ beziehungsweise eines „Königs der Gambitspiele“ eintrug. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Spielmann von allen zeitgenössischen Meistern für das Publikum einer der populärsten war und sein Ruf als Angriffspieler und seine spektakulären Partien bis in unsere Tage nachwirken. Sein Credo war, dass Schach eine Kunstform sei, wobei seine Schönheit primär in überraschenden Kombinationen und Opfern bestehe.

Im Gegensatz zu seinem aggressiven Stil am Schachbrett, und lassen sie mich hier auch einige Worte über den Menschen Rudolf Spielmann sagen, war er im Alltag ein gutmütiger Mensch, der gern im Wiener Dialekt raunzte. Er wird als ein Faulpelz beschrieben, der gutes Essen und gutes Bier jeder Beschäftigung welcher Art auch immer vorzog. Er liebte die Natur und hielt sich gern in ihr auf. Er war ein außerordentlich bescheidener und Frauen gegenüber verlegener Mann, der nie die Absicht hatte zu heiraten, außerdem war er fatalistisch und abergläubisch. Depressive Stimmungen wechselten bei ihm rasch mit Hochs.

Die Tragödie der Familie Spielmann begann mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland.

Bild 7 Leopold Spielmann 1935


Leopold, der seine Klavierschülerin Gertrud Lüdtke geheiratet, in Berlin ansässig geworden war und mit ihr vier Kinder hatte, floh von Berlin nach Prag und hielt dort sich und seine Familie recht und schlecht über Wasser. Den Anschluss Österreichs an Deutschland 1938 erlebte Rudolf in Holland, wo er eine Simultantournee absolvierte. Mit seinem ungültig gewordenen Pass konnte er nicht mehr nach Wien zurückkehren und ging nach Prag, um der Familie seines Bruders nahe zu sein.

Bild 8 Brief 1

Von dort schrieb er im Dezember 1938 einen verzweifelten Brief an den Präsidenten des schwedischen Schachverbandes, seinen Mäzen Ludvig Collijn, aus dem ich eine Stelle zitieren möchte:

„Meine Lage ist mehr als traurig, denn ich wurde nicht nur aus Österreich, meiner geliebten Heimat, für immer vertrieben, sondern es wurde mir obendrein meine Reisefreiheit genommen. Fast alle Schachländer der Welt haben sich hermetisch gegen Emigranten und Flüchtlinge abgeschlossen, niemand lässt mich mehr mit meinem wertlos gewordenen österreichischen Pass hinein. Seit etwa einem halben Jahre koste ich alle Leiden dieser unschuldig umherirrenden Menschen aus, ohne auch nur mit dem kleinsten Beitrag unterstützt zu werden. Nur die Hoffnung, dass ich schließlich doch wieder ein Schachengagement und ein Asyl finden werde, hält mich aufrecht. Wäre es nicht möglich, dass Sie sich meiner ebenso wie seinerzeit im Jahr 1919 annehmen und mir irgendein Schachengagement in Stockholm oder sonst wo in Schweden verschaffen? Es handelt sich nicht um einen dauerhaften Aufenthalt. Ich möchte Schweden nur als Übergangsland benützen, um mich moralisch und schachlich aufzurichten und um meine Kräfte für spätere Unternehmungen zu sammeln. Vielleicht könnte ich dann nach England oder Amerika auswandern. Ich bitte Sie vielmals, lassen Sie mich nicht im Stich und verhelfen Sie mir zu einem menschenwürdigen Dasein. Ich wäre mit den denkbar bescheidensten Bedingungen einverstanden, wenn ich mich nur irgendwie betätigen könnte. Die Hauptsache bleibt, dass ich aus dieser Hölle von Mitteleuropa endlich herauskomme. Der Antisemitismus macht sich auch schon in Prag breit und raubt mir jede Lebensmöglichkeit. Nochmals flehe ich Sie bei unserer 30-jährigen Bekanntschaft an, sich meiner anzunehmen und mir möglichst gleich zu antworten, damit ich weiß, ob ich noch hoffen darf.“

Die Familie wurde nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Prag im März 1939 auseinandergerissen. Rudolf gelang es im letzten Moment nach Schweden zu fliehen, sein Bruder und die beiden Schwestern wurden deportiert. Leopold und Irma starben in Konzentrationslagern, Jenny überlebte, litt jedoch ihr Leben lang an schweren Depressionen und beging 1964 in München Selbstmord.

Rudolf Spielmanns Nichten konnten mit Hilfe von Quäkern nach England flüchten, wo heute noch eine von ihnen lebt.

Bild 9 Rudolf Spielmannn 1937

Rudolf selbst kam in Schweden völlig mittellos an. Inzwischen war, um das Unglück zu komplettieren, sein Freund und Mäzen Collijn gestorben. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Rudolf Spielmann im schwedischen Exil in bitterer Armut bei rasch schwindender Gesundheit.

Bild 10 Rudolf Spielmann Grabstein

Die Ursache seines Todes am 20. 8. 1942 in Stockholm ist nicht restlos geklärt. Während die offizielle Todesursache auf Herzversagen durch Arteriosklerose lautet, glaubt seine Familie bis heute, dass sich einfach niemand mehr um ihn kümmerte und er mehr oder weniger verhungerte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in Österreich in den Schachverbänden ein gründliches Vergessen jener dunklen Jahre ein. Der Name eines der drei größten Schachmeister, die Wien je hervorgebracht hatte, scheint bis zum Jahr 1964 in keinem einzigen österreichischen Schachmedium auf. Zwei Spielmann-Gedenkturniere der Schachklubs Hietzing und Meidling 1964 und 1969, die beide Andreas Dückstein gewann, seien hier positiv erwähnt.

Bild 11 Buchtitel

Erst im Jahr 1996 gelang es mir, im Verlag Fink in Koblenz zum ersten Mal eine größere zusammenhängende Biographie zu veröffentlichen und seinen Namen dem Vergessen zu entreißen. Aber erst mit dem heutigen Tag, fast 70 Jahre nach seinem Tod, kehrt der Name Rudolf Spielmann wieder dauerhaft in seine Heimatstadt zurück.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.