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Bericht und Special von Walter Kastner
Der Tag der Entscheidung
Am 12. Jänner 2004 ist es soweit. Der einzig verbliebene
Konkurrent im Kampf um die 16. Fernschach-Weltmeisterschaft, GM
Samarin, verliert eine seiner drei noch offenen Partien. Damit
ist der Wiener Dipl.Ing. Tunc Hamarat 16. Weltmeister in
der Geschichte des Fernschachs und stellt sich in eine Reihe mit
Größen wie Estrin, Baumbach, Berliner, ...
Ein Weltmeister zum Anfassen
Im Rahmen eines Interviews hatte
ich voriges Jahr im August Gelegenheit Tunc Hamarat persönlich
kennen zu lernen. Meinen Eindruck könnte ich nicht besser
wiedergeben als mit folgendem Zitat aus einer E-Mail eines
österreichischen Fernschachfreundes, das Fernschachreferent
Gerhard Radosztics auf der Website der Sektion Fernschach
publiziert hat: "Ich kenne zwar Herrn Hamarat nicht persönlich,
konnte jedoch seine Kommentare und Spiele in den letzten Jahren
verfolgen. Mit Herrn Hamarat wird ein bekennender Wahlösterreicher,
mit türkischen Wurzeln und kosmopolitischer Geisteshaltung, ein
ehrlicher, natürlicher Mensch, erster Österreichischer
Fernschachweltmeister! Ein Fernschachweltmeister zum Anfassen
ohne Starallüren!"
Tunc
Hamarat über seinen Weg zum Großmeister
:
"Ich bin am 1. 12. 1946 in Istanbul geboren
und habe bis 1972 in der Türkei gelebt. 1972 kam ich nach Österreich
um die Diplomarbeit für Physik an der TU Wien zu machen.
Seitdem lebe ich in Österreich und besitze seit 10 Jahren die
österreichische Staatsbürgerschaft.
Im Nahschach nahm ich in der Türkei bei vielen Turnieren teil,
dabei war ich dreimal im Finale der türkischen Meisterschaft.
In Wien spielte ich in der A-Liga für Mödling und nahm bei
Einladungsturnieren teil. Schon bei meinem 1. Einladungsturnier
(1973) erfüllte ich eine ÖM-Norm, welche mir nicht anerkannt
wurde, weil ich kein österreichischer Staatsbürger war. Mein
Hauptinteresse war aber immer das Fernschach, weil ich ein
Perfektionist bin. Ich spiele seit 1963 Fernschach, fast
immer mit gutem Erfolg! Den IM-Titel erreichte ich bei der 1.
Europamannschaftsmeisterschaft und bei der Olympiade IX, wo ich
noch für die türkische Mannschaft spielte.
Ich gewann das Semifinale zur Weltmeisterschaft XV mit
dem Ergebnis 12 Siege, 4 Remis und ohne Niederlage, womit ich
mich für das ¾ Finale qualifizierte. Dieses Turnier
gewann ich mit dem Ergebnis + 10; = 6; - 0 und qualifizierte
mich für das Finale der 14. Weltmeisterschaft. Bei
diesem Turnier mit 3 Exweltmeistern, welches noch läuft (1997,
Anm. d. Red.), gewann ich bis jetzt 5 Partien und remisierte 9,
ohne Verlust! (Eine Partie offen, wahrscheinlich Remis). Somit
erfüllte ich wiederum die GM-Norm und erhielt 1997 den Titel eines Großmeisters
im Fernschach.
Hamarat, 1997 (Kurzportrait auf www.chess.at/fernschach
)
Ein kleiner Rekord - mit Weiß ungeschlagen
Ich habe auch einen kleinen Rekord, meinte Tunc Hamarat
bescheiden beim Interview im vergangenen August: In nunmehr fast
40 Jahren Fernschach habe ich keine einzige Partie mit Weiß
verloren!!". Zugleich zeigt sein "kleiner Rekord"
mit welcher Akribie, Präzision und Perfektion Tunc Hamarat an
Fernschach herangeht.
Auch in der 16. Fernschach Weltmeisterschaft setzt Hamarat seine
Weißstärke erfolgreich ein. Von acht Partien gewinnt er fünf,
bei drei Remisen. Das ist der Grundstein zum Weltmeistertitel.
Freilich würde dieses phantastische Score mit den weißen
Steinen nicht jeder einen "kleinen" Rekord
nennen. Aber es passt gut in das Bild eines neuen, bescheidenen
Fernschachweltmeisters, der bereits auf der Suche nach neuen
Herausforderungen ist.
Ein Weltmeister - neue Herausforderungen
Vielleicht schreibt er bald ein Buch über die 16. Fernschach-WM
oder eines über den "Sinn des Schachspiels". Für
Hamarat ist Schach genauso "sinnvoll" oder
"sinnlos" wie vieles andere im Leben. Nur sei das
Leben zu kurz um es einer - so zeitintensiven - Sache zu
widmen. Es bliebe zu wenig Zeit zum lesen, reisen,
philosophieren, ... (Nun ja, vielleicht sollte man doch endlich
Brett und Figuren in die Ecke stellen, obwohl ...)
Doch Hamarat wäre nicht Hamarat, ohne andere - zeitintensive -
Ideen in seinem Kopf, die geradlinig mit viel Ehrgeiz zu
verfolgen es gilt.
Vielleicht hat Österreich bald einen
Weltmeister im Backgammon.
Vielleicht heißt er Tunc Hamarat ...
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