Das
Olympia-Tagebuch von K.H. Schein
Tag 3 - 2. Runde
„Morgen
beginnt die Olympiade!“ Diesen Satz hört man mittlerweile
des Öfteren. Was hat es damit auf sich? Es lässt sich
feststellen, dass die Organisatoren den logistischen Aufwand
unterschätzt haben, den eine Sportveranstaltung dieser Größenordnung
mit sich bringt. Beschwerden und Proteste von vielen Seiten
erreichten das Organisationskommtee und so sah man sich genötigt,
gestern um 22.00Uhr ein „captains meeting“ abzuhalten, um in
einer Art Pressekonferenz die wichtigsten Anliegen der
Delegationen zu diskutieren. Darüber darf ich euch in der
Heimat einen kleinen Bericht übermitteln:
Einige Punkte, die bei den TeilnehmerInnen der Olympiade
für Unmut sorgen, sind folgende:
Das Anstellen beim Essen ist eine nicht zumutbare
Prozedur insbesondere für ältere Menschen. Wartezeiten von über
40 Minuten (3 mal täglich!) beim Anstellen in einer endlosen
Schlange sind die Regel. In schöner Eintracht hört man den
elolosen Schachspieler von den Seychellen ebenso klagen wie den
2600-er aus Usbekistan. Zwar hat es durchaus seinen Reiz, auf
dem schier endlosen Weg zu Minestrone und Pasta zwischen Loek
van Wely und Vallejo Pons (oder noch besser zwischen Kostenjuk
und Stefanova!) eingeklemmt dem ständigen Summen einer
babylonischen Sprachenvielfalt zu lauschen, doch man wird das
Gefühl nicht los, seine Zeit etwas sinnvoller mit
Partienvorbereitungen verbringen zu können. Wie mir Beat Züger
mitgeteilt hat, verzichtet das Schweizer Team ( mit Korchnoj auf
Brett 1) mittlerweile darauf, im olympischen Dorf zu essen und wählt
die komfortablere, aber teurere Variante, indem es auf eigene
Kosten in einem Restaurant irgendwo in der Stadt speist. Wenn
diesem Beispiel noch etwa 50-70 Mannschaften folgen würden, wäre
das Problem für die übrigen Teams gelöst…
Die Schlange reicht von GM Volkov bis GM Graf
Während einige schon was haben...
... haben andere weniger Glück.
Als Kompromiss wurde eine zweite Cateringstation im
olympischen Dorf installiert und die Essenszeiten wurden verlängert.
Auch wird das Organisationsteam und der Tross von
Schiedsrichtern nun nicht mehr in den Stoßzeiten speisen. Für
Spieler, die zum Essen auch ein Getränk bestellen, das extra zu
bezahlen ist, wird nun ein spezieller Weg zum Anstellen
eingerichtet, um auch so Wartezeiten zu verkürzen.
Ein persönlicher Tipp, um relativ rasch zum Essen zu
gelangen: Frühstücken um 7 Uhr morgens und Abendessen ab 2215.
Dann geht’s hurtig!
Als weiteres Anliegen der Delegationen stellte sich der
Wunsch nach einem Shuttle-Service zur Spielhalle heraus. Knapp
30 Minuten Fußmarsch sind nicht jedermanns Sache. Vor allem
nicht, wenn man sich knapp vorher bereits eine
Dreiviertel-Stunde fürs Essen angestellt hat. Sollte es
irgendwann heftig regnen, dürften sich da noch zusätzliche
Probleme auftun.
Die Spielhalle werde ich in einem eigenen Bericht noch
ausführlich vorstellen, vorläufig nur soviel: Es gibt den
„blauen Bereich“, der ausschließlich für die in der
entsprechenden Runde spielenden TeilnehmerInnen und ihren Kapitänen
vorbehalten ist, dann wurde ein „roter Bereich“
eingerichtet, der zahlungswilligen Kiebitzen für 20€ pro
Tageskarte vorbehalten ist und schließlich die Tribünen. Dort
kann sich der Tagesgast für 5€ einen groben Überblick
verschaffen. Da man die Ersatzspieler nicht in die rote Zone ließ
und sie ebenfalls auf die Tribüne verbannte, mussten sich die
Organisatoren beim Captains Meeting einiges anhören. Ab heute
ist diese Regelung aufgehoben und Ersatzspieler dürfen sich in
der roten Zone in unmittelbarer Nähe ihrer spielenden
KollegInnen, nur getrennt durch eine Absperrung, aufhalten.
Blaue Zone für Spieler und rote Zone für Zuschauer.
In der ersten Runde waren auch noch keine Tafeln
aufgestellt, anhand derer man die entsprechenden
Mannschaftspaarungen ablesen konnte. Kiebitze wussten gar nicht
(wenn sie die SpielerInnen nicht zufällig kannten), wer
eigentlich gegen wen spielt!
In der 2. Runde spielt Österreich schon betafelt gegen Tajikistan
Wenn wir schon bei Gebäuden sind. Die Unterkünfte sind
– wenn man es höflich formulieren möchte – eher
spartanisch ausgestattet. Im Zimmer findet man ein Bett, einen
Kasten und ein Nachtkästchen; das ist alles. Kein Stuhl, kein
Tisch, schon gar nicht Toilette oder Dusche. Die befindet sich
am Gang und man teilt sie sich im Schnitt mit 3-4 Kollegen. Wenn
man sich alleine vorbereiten möchte, hat man die Wahl,
Schachbrett oder Laptop aufs Nachtkästchen zu platzieren und götzendienstähnlich
davor kniend zu arbeiten oder aber irgendwie zusammengekrümmt
im Bette liegend die Vorbereitungsarbeit zu erledigen. Dass dies
(nicht nur) Spielern wie Korchnoi, Shirov, oder Aronjan nicht
gerade gefällt, ist nachvollziehbar. Dass sich die Zimmertüren
nicht absperren lassen, stößt ebenfalls nicht auf breite
Zustimmung.
Großer Andrang und eine gewisse „Goldgräberstimmung“
herrschen im „Internet-Cafe“. Wie seinerzeit beim legendären
Goldrush in Kalifornien Mitte des 19. Jhdts. braucht man eine
gelungene Mischung aus Glück ,Geduld und Aggressivität, um zu
den Nuggets zu gelangen, sprich: um einen der ca. 20 mit dem
Internet verbundenen Computer zu ergattern. Während sich die glücklichen
Surfer vor den Bildschirmen mit einer Unzahl von Blitzpartien
die Zeit vertreiben, warten pro Computer drei bis vier weniger
Glückliche darauf, dass jemand den begehrten Platz freigibt.
Wenn dies unverhofft tatsächlich eintrifft, erinnert die
Situation urplötzlich irgendwie an das beliebte Kinderspiel
Reise nach Rom: 4 Spieler kämpfen darum, wer sich als erster
auf den einzigen freien Sitz wirft, drei scheiden aus…
Im Internetcafe herrscht reger Andrang.
Die Online Vorbereitung bringt hier die Endstellungen der
Partien...
... der Österreicherinnen vom Vortag zum Vorschein.
Das Warten auf "die Reise nach Rom".
Riesenandrang herrscht allabendlich auch, wenn die
Auslosung kommt, besser gesagt: wenn sie kommen sollte. Angekündigt
für 23 Uhr, war sie um 1 Uhr in der Nacht noch nicht hier. Wie
wir erfuhren, hatte man das Auslosungsteam in der riesengroßen
Spielhalle vergessen und eingeschlossen. Endlich befreit, fand
man auf dem riesigen Areal erst nach langem Suchen das einzige
geöffnete Tor auf dem Weg ins olympische Dorf…
Die heiß ersehnten Paarungen sind da. Endlich.
Um zu meinem ersten Satz zurückzukommen: „Morgen
beginn die Olympiade!“ Die Organisatoren beteuern mit
Hochdruck und allerbesten Absichten an der Verbesserung der Zustände
zu arbeiten – Bella Italia!
Zum Schachlichen:
15.00
- Runde 2
Damen:
Österreich - Tajikistan 3:0
Los geht´s
Was
gibt es Schöneres für einen Kapitän als zu erleben wie
die Partievorbereitung punktgenau aufs Brett kommt und man dem
hochmotivierten Team nach dreieinhalb Stunden Spielzeit zu einem
glatten 3:0 gratulieren darf? So geschehen gestern bei den Damen
in der Begegnung Tajikistan-Österreich. Sonja spielte
einen grundsoliden c3-Sizilianer und drückte ihre
Gegnerin von Beginn an in die Defensive. Ein Verzweiflungsopfer
widerlegte sie mit einem giftigen Zwischenzug.
Die ersten Züge.
Noch schaut Karl-Heinz Schein besorgt. Doch die Vorbereitung
passt.
Tina war nicht böse, dass ihre Gegnerin der
Sweschnikov-Variante im Sizilianer auswich, denn dadurch hatte
sie als Nachziehende bereits nach wenigen Zügen die Initiative
ergriffen. Nicht immer 100-prozentig korrekt, aber voll Elan
ging sie auf den weißen König los. Schlussendlich fuhr die
entnervte Gegnerin in eine Springergabel. Etwa zeitgleich gewann
auch Maria ihre Auftaktpartie. Ein vergifteter Bauer war ihrer
Gegnerin nicht gut bekommen.
Das
heutige Duell gegen Serbien-Montenegro wird eine harte Nuss.
Alle vier Spielerinnen der gegnerischen Mannschaft (auch die
Ersatzfrau!) sind Großmeisterinnen oder haben
Großmeisterinnenstärke. Es bedurfte nicht
unbedingt der Warnungen von Aco Alvir, der die gegnerischen Spielerinnen
genau kennt, um die Schwierigkeit der heutigen Aufgabe zu erkennen.
Herren:
Argentinien - Österreich
3,5:0,5
Spannend ging es auch bei den Herren zu. Argentinien
war der Gegner: Martin Neubauer neutralisierte auf Brett 1 die
leichte Initiative von GM Felgaer und leistete sich in einem
vorteilhaften Turmendspiel gar den Luxus, ein Remisangebot
abzulehnen. Leider überzog er schlussendlich die Stellung und
musste eine bittere Niederlage kassieren. Herwig überraschte
auf Brett 2 seinen großmeisterlichen Gegner mit einem Läuferopfer
auf h6. Nach einem heftigen taktischen Scharmützel mündete die
Partie in eine remisliche Stellung mit ungleichfarbigen Läufern.
Remis! Bravo Herwig!
Erfolgreicher Angriff führt zur Zugwiederholung gegen einen
2500-er.
Neubauer und Alvir können ihre Chancen hingegen nicht nützen.
Auf Brett 3 wehrte sich Aco sehr lange, schlussendlich
leider vergeblich gegen Pablo Ricardi. Hochmotiviert ging
„Teamneuling“ Harald in die erste Olympiapartie seines
Lebens. Vielleicht wollte er zu viel. Der angestrebte und
erreichte Qualitätsgewinn wurde leider durch aktives Spiel des
Gegners überkompensiert.
Der Debütant Harald Genser im kritischen Focus des Captains.
Nach
den Fiji-Inseln in Runde 1 warten diesmal die Färöer-Inseln
aufs rot-weiß-rote Team. Noch werden Witze über Hickersberger
und das ÖFB-Team nur hinter vorgehaltener Hand erzählt, morgen
wissen wir mehr…
Impressionen aus dem Turniersaal
Fotos: K.-H. Schein
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