Das
Olympia-Tagebuch von K.H. Schein
Tag 6 - 5. Runde
Natürlich suche ich hier in Turin
auch den Kontakt zu anerkannten Experten auf dem Gebiet des
methodisch durchdachten Schachtrainings. So hatte ich das Vergnügen,
bei einer Tasse Kaffe mit Großmeister Adrian Mikhalchishin zu
plaudern. Er ist stellvertretender Vorsitzender der
FIDE-Trainer-Kommission.
Exklusiv für mein Olympia-Tagebuch gab er mir folgendes
hochinteressante Interview.
Frage: Herr
Mikhalchishin, sie sind in der Schachwelt als hervorragender Großmeister
bekannt. Nicht jeder weiß aber, dass Sie in den letzten Jahren
einen exzellenten Ruf als Schachtrainer genießen. Was hat sie
dazu bewogen, ihre eigenen Ambitionen als Spieler zurückzustellen
und sozusagen in das Trainerfach zu wechseln?
Antwort: Ich
habe ja nicht ganz aufgehört, zu spielen, ich spiele ja in
mehreren europäischen Teambewerben. Aber es ist einfach eine
Tatsache, dass man im Alter von 50 Jahren nicht mehr auf dem Level
wie mit 25 spielen kann. Viele Großmeister in diesem Alter werden
dadurch langsam entmutigt. Für mich ist es in meinem Alter
einfach die größte Freude, talentierten jungen Spielern helfen
zu können. Nach dazu, weil es in der Schachwelt einfach viel zu
wenig hervorragende Trainer gibt. Toptrainer der Spitzenklasse
kann man an den Fingern einer Hand abzählen.
Frage: Welche Namen fallen Ihnen in diesem Zusammenhang
spontan ein?
Antwort: Arshak
Petrosjan, der mit Peter Leko arbeitet, J. Dorfman, Y. Razuvaev,
P. Nikolic und E. Ubilava.
Frage: Bei dieser Aufzählung
vermisse ich den Namen Dvorecky!
Antwort: Dvorecky
schreibt exzellente Bücher, aber seine Arbeit als Trainer ist
nicht unbedingt methodisch. Außerdem brauchst du beim Arbeiten
mit Spielern der Weltklasse eine starke Hand. (Anmerkung: Das
Interview habe ich mit GM Mikhalchishin auf English geführt. Wörtlich
sagte er: „those guys need a strong hand!“)
Frage: Was meinen Sie damit, dass ein Trainer „eine
starke Hand“ braucht?
Antwort: Man
muss als Trainer beim Analysieren auch den stärksten Spielern
Widerstand leisten können. Es darf nicht passieren, dass diese
Klasseleute einen dauernd überspielen. Das ist schlimm für einen
Trainer.
Frage: Wer
von den bekannten Spielern hat eigentlich schon ihre „starke
Hand“ beim Training verspürt?
Antwort: Gearbeitet
habe ich z.B. mit A. Karpov, A.Beljavski,
den Polgar-Schwestern, A. Naiditsch und mit der serbischen Großmeisterin
Alisa Maric.
Frage: Mit
wem hat die Zusammenarbeit den meisten Spaß gemacht?
Antwort: Die größte
Befriedigung als Trainer hatte ich bei der Zusammenarbeit mit den
Polgarschwestern. Wir arbeiteten enorm intensiv. Bei unseren
Trainingsseminaren, die eine ganze Woche dauerten, arbeiteten wir
täglich 8 Stunden intensiv am Schachbrett, danach spielten wir 2
Stunden Blitzpartien und zum sportlichen Ausklang eine Stunde
Tischtennis. 11 Stunden täglich waren wir also zusammen.
Frage: Was ist Ihre Tätigkeit hier bei der Olympiade in
Turin?
Antwort: Ich
bin als Trainer der Damennationalmannschaft von Holland hier.
Frage: Und wie stehen die Chancen?
Antwort: Das lässt sich noch nicht genau sagen. Bei einer
Olympiade sind die 5 Schlussrunden am wichtigsten. Die muss man
einfach top spielen.
Frage: Wie sieht hier in Turin das Trainingsprogramm mit
der Mannschaft aus?
Antwort: Von
11.00 bis 13.00 Uhr bereiten wir uns auf die jeweiligen
Gegnerinnen vor. Dies geschieht in Einzeltrainings, die jeweils
ca. 45 Minuten dauern. Während der Runde beobachte ich natürlich
genau die Partien meines Teams und nach Beendigung der Runde
analysieren wir gemeinsam alle drei Partien. Das dauert ungefähr
2 Stunden. Anschließend geht die komplette holländische
Mannschaft, also auch die Herren, noch auf einen gemeinsames Getränk
in irgend ein Lokal in der Nähe. Das ist wichtig für den „Team-Spirit“.
Spätestens Mitternacht sind alle im Bett.
Team-Spirit á la Holland.
Adrian Mikhalchishin
und seine Damen...
Frage: Gesetzt
der Fall, eine Spielerin würde über die Stränge schlagen und
sagen wir, erst um drei Uhr morgens im Quartier eintreffen, wie würden
Sie reagieren?
Antwort: Das ist eine rein hypothetische Frage, denn das
kommt nicht vor. Unsere Spielerinnen werden vom holländischen
Verband gut bezahlt und haben demnach eine hochprofessionelle
Einstellung. Aber würde so etwas passieren, würde ich das natürlich
in einem entsprechenden Bericht dem holländischen Verband
mitteilen.
Frage: Dem
Begriff „Russische Schachschule“ haftet im Westen noch immer
etwas Mystisches und Geheimnisvolles an. Was hat es damit auf
sich?
Antwort: Es gibt keine russische
Schachschule! Sie existierte nicht. Jede Region der ehemaligen
Sowjetunion hatte ihre ganz speziellen Trainer, die das
Schachdenken in ganz bestimmte Richtungen lenkten. In Georgien z.B.
war eine zeitlang GM Gurgenidse d i e Autorität. Er predigte
unentwegt den Vorteil des Springers gegen den Läufer. Die Folge
war, dass dort die Spieler besonders gerne ihre Läufer gegen die
Springer tauschten. Die Letten waren unter ihrem Trainer Gipslis
wiederum theoretisch besonders beschlagen. Eine völlig andere
Richtung entwickelte sich hingegen in Leningrad, und die Spieler
aus der Ukraine kreierten eigene Systeme mit einem ganz besonders universalen Stil. Jede
Region entwickelte also unter dem Einfluss einer ganz bestimmten
Trainerautorität ihre ganz besondere Stilrichtung.
Frage: Wer war eigentlich ihr Trainer?
Antwort: Besonderen Einfluss hatte auf mich V. Kart. Auch GM
Leonid Stein gab gegen uns junge Burschen lehrreiche
Simultanpartien.
Frage: Kommen wir zur Olympiade hier in Turin. Was halten
Sie von den Spielbedingungen?
Antwort: Die Spielbedingungen in der Halle sind sensationell. Vor
allem haben die Spieler endlich genügend Platz. Dies war bei den
vorhergehenden Olympiaden immer ein Problem. Allerdings sind die Zustände im olympischen Dorf ganz
einfach schlecht. Die Unterkünfte sind miserabel, auch das Essen
war bei jeder anderen Olympiade, die ich erlebte, besser.
Frage: Noch eine letzte Frage: Welchen Tipp würden sie
jungen SchachspielerInnen, die ihr Spiel verbessern wollen, mit
auf den Weg geben?
Antwort: Sie müssen die Klassiker studieren!
Frage: Was meinen Sie genau damit? Die Partien von Paul
Morphy z.B?
Antwort: Ich nenne Ihnen vier Namen: Rubinstein, Aljechin,
Capablanca und Botwinnik. Und zwar aus folgendem Grund: Die
Partien von Rubinstein dienen zum Erlernen von typischen
positionellen Plänen. Aljechins Partien sind sehr wichtig, um die
Bedeutung der Initiative zu erlernen. Capablancas Partien
demonstrieren deutlich, was Technik bedeutet und Botvinniks
Partien sind Meisterwerke der Schachstrategie.
Frage: Herr Mikhalchishin, herzlichen Dank für dieses ausführliche
Interview.
Antwort: Sehr gerne! Auch dem österreichischen Team wünsche
ich viel Erfolg im Turnier!
Doch nun in die Turnier-Arena.
15.00
- Runde 5
Damen:
Österreich - Finnland 1:2
Anna-Christina Kopinits geriet schon aus der Eröffnung heraus in
eine schlechtere Stellung. Dank Kampfgeist und taktischem Geschick
zauberte sie noch Gegenspiel aus der Stellung, das zum Remis
reichte.
Maria Horvath belagerte den Isolani gegen Laura Savola über die
ganze Partie, konnte aber den zähen Verteidigungswall der Finnin
nicht durchbrechen. Helene Mira erlangte eine gute Stellung,
wählte aber im Mittelspiel den falschen Plan und landete in einem
verlorenen Turmendspiel.
Nach einem Ruhetag wartet am Samstag das nächste Nordlicht, die
Mannschaft aus Island.
Finnland gegen Österreich...
... Tina täuscht mit falschen Leibchen.
Nach hartem Kampf...
... muss Captain Schein ein 1:2 zur Kenntnis nehmen.
Herren:
Italien C - Österreich
2:2
Remisorgie gegen Italien. Zwar drückten die
österreichischen Herren auf allen Brettern gehörig auf den
ganzen Punkt und hätten im Siegbestreben beinahe die eine oder
andere gute Stellung überzogen. Zum Schluss löste sich alles in
Wohlgefallen auf und nachdem sich der Pulverdampf verzogen hatte,
wurde auf allen vier Brettern die Friedenspfeife geraucht. Schade
um den verpassten Sieg.
Ein hochinteressanter Gegner folgt nun mit Quatar. Hinter ihrem
großmeisterlichen Ehemann Mohammed Al Modhiaki spielt
Ex-Weltmeisterin Zhu Chen auf Brett 3. Daumendrücken ist
angesagt.
Gastgeschenke der Italiener gab´s nur zu Beginn.
Dann leistet Italien C erbitterten Widerstand.
Robert Kreisl schafft beim Olympia-Debut eines der 4 Remisen.
Impressionen aus dem Turniersaal
Die Runde startet mit Turin moves...
Iwantschuk gegen Georgiev.
Gata Kamsky
Alexander Morosewitsch
Peter Swidler
Rustam Kasimdzhanov
Das Damenteam aus Neuseeland.
Russland gegen Ukrainie. Kosteniuk verliert gegen Zhukova.
Im Schatten der FIDE-Fahne...
Vishy Anand
...und sein Teamkollege Sashikiran
China gegen Indien
Armenine gegen Russland bei den Herren.
Das Partieformular von Levon Aronian.
Granda Zuniga aus Peru.
Utut Adianto aus Indonesien.
Ohne Spielerpass und schwarzer Spielerkarte kommt man nicht in den
blauen Bereich.
Portraits der Runde...
Am Rückweg ins Olympische Dorf nach den Partien.
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