Das
Olympia-Tagebuch von K.H. Schein
Tag 8 - 6. Runde
Heute wollen wir gemeinsam durch das olympische Dorf spazieren,
das uns noch bis zum 4. Juni als Heimstatt dienen wird!
Die an sich faszinierende Idee dieser Schacholympiade, die
Infrastruktur der Turiner Winterspiele 2006 zu nutzen, und an einem zentralen Ort für zwei Wochen die
Schachwelt zu versammeln, scheint sich langsam zu bewähren. Es
ist in der Tat ein richtiges Schachdorf geworden. Nach etlichen
Anlaufschwierigkeiten hat man sich
im olympischen Dorf eingelebt und auch die Organisatoren haben
nach und nach wichtige Einrichtungen bereitgestellt. Zwar ist es
weiterhin schwer, im Internet-Cafe einen freien Platz zu
ergattern, doch gibt es nun eine
Wäscherei, eine Cafeteria oder den schon erwähnten Supermarkt.
Sehr beliebt bei den jüngeren SchachspielerInnen ist
der Raum, wo eine Vielzahl von Playstations installiert
wurde. Als „Relax-zone“ tituliert, kann man in sich hier -
vielleicht zum Abreagieren - an einer Vielzahl von Computerspielen
versuchen.
Ohne Akkreditierungskarte ist es praktisch unmöglich, in
die rundum eingezäunte „Residential Zone“ (der offizielle
Begriff hier fürs olympische Dorf) zu gelangen.
Der Wohnbereich besteht aus einer zweistelligen Anzahl von
5-stöckigen Gebäuden. Die bunt angestrichenen Fassaden wirken
frisch und lebendig. Einige Nationen haben an Fenstern, Balkons
und Terrassen die
jeweilige Nationalflagge angebracht, was dem Ganzen einen zusätzlichen
internationalen Flair verleiht.
Ab morgen beginnen hier zahlreiche Kongresse der FIDE. In Räumlichkeiten,
die man nach großen Schachspielern der Vergangenheit benannt hat
(z.B. Aljechin Raum, Steinitz-Raum, Capablanca-Raum usw.) werden
Sitzungen abgehalten, die sich mit verschiedensten Themen
befassen, wie Schach in Schulen, gezieltes Schachtraining, Schach
und Philatelie usw.
Als Höhepunkt steht dann die Generalversammlung mit der
Neuwahl des Präsidenten an. Diese wirft bereits insofern ihre
Schatten voraus, als dass FIDE-Präsident Kirsan Iljumshinov
gestern persönlich in der Spielhalle war und gemeinsam mit seinem
Team an seinem Stand massenweise Werbegeschenke wie T-Shirts,
Kugelschreiber, Schlüsselanhänger usw. verteilt hat. Ebenso
sieht man viele Anhänger der „Gegenpartei“ von Herausforderer
Bessel Kok demonstrativ mit den typischen orangenen T-Shirts mit
der Aufschrift „the right move“ herumgehen.
Überall an den Eingangstüren und Fenstern der Wohnblocks
sind Informationsschriften mit den wichtigsten Terminen
angebracht. Viele freuen sich schon auf die groß angekündigte
„Bermudaparty“, das Riesenfest für die Schachgemeinde hier in
Turin. Wir werden sehen, ob die einen eigenen Bericht wert wird…
Das gesamte Areal war übrigens früher Bahnhofsgelände und
einige Teile des Eingangsbereiches erinnern architektonisch noch
daran.
Das Schlendern durch dieses Areal ist eigentlich immer
interessant. Besonders zu den Zeiten, wenn die Auslosungen und die
Teamaufstellungen der jeweiligen Runden bekannt gegeben werden,
kann man in den verschiedensten Sprachen der Welt lebhafte
Diskussionen über die Tücken des Auslosungssystems mitverfolgen,
wer will, kann abends in
der Cafetaria Weltklassegroßmeistern beim Analysieren ihrer
Partien über die Schultern schauen.
Österreichs Captain Danner hat die Auslosung als einer der
Ersten. Im Hintergrund erflehen Schweschnikow und Lputian Beistand
von oben.
Graf und Jussupow bei der Analyse.
Außerhalb des Geländes, auf der anderen Straßenseite
befindet sich das „Cafe Alexander“, das jeden Abend mit
SchachspielerInnen aus allen Kontinenten zum Bersten vollgefüllt
ist. Dann kann es schon passieren, dass Mitglieder von trinkfesten
Nationalmannschaften auf dem Heimweg den ersten Frühaufstehern
begegnen….
Die beiden Pizzerias in der Nähe dürften in diesen Tagen
ebenfalls das Geschäft ihres Lebens machen; Viele Teams genießen
das momentan hervorragende Wetter, um außerhalb des olympischen
Dorfes typisch italienisches Flair zu atmen.
Doch nun in die Turnier-Arena.
15.00
- Runde 6
Damen:
Island - Österreich 1:2
Ein auf
allen drei Brettern hart umkämpftes Duell, das mit einem Sieg der
Isländerinnen endete. Auf Brett 1 musste sich Helene Mira gehörig
strecken, um die Angriffsversuche von Großmeisterin Ptacnikova zu
neutralisieren. Schlussendlich hatte sie mit einer gehörigen
Portion Kampfgeist den Remishafen erreicht. Tina Kopinits spielte
ihre erste Weißpartie hier in Turin. Leider unterschätzte sie
den unkonventionellen Aufbau ihrer Gegnerin und witterte die
Gefahren, die auf sie lauerten, zu spät. Auf Brett 3 hätte es
Sonja Sommer in der Hand gehabt, gegen die Internationale
Meisterin Gretarsdottir den Wettkampf ausgeglichen zu halten. Der
erfolgversprechende Königsangriff wurde nicht mit letzter
Konsequenz durchgezogen. Unterm Strich ist ihr Remis aber
sicherlich nicht als Misserfolg zu werten.
Ein nettes Detail am Rande:
Als ich ihrem Coach Bragi Kristjannson als kleines Geschenk unsere
Zeitschrift Schach-Aktiv überreichte, studierte er interessiert
das Titelfoto und erkannte Walter Wittmann, mit dem er – wie er
mir erzählte – in den 60-er Jahren eine Turnierpartie gespielt
hatte.
Herren:
Österreich - Quatar
1:3
Das
Herrenteam musste eine deutliche Niederlage hinnehmen. Während
Neubauer gegen GM Al-Modiahki und Genser Remis erreichten, sah
sich Herwig Pilaj gegen IM Al Sayeed mit einem neuen, giftigen Eröffnungskonzept
konfrontiert, gegen das er kein Gegenmittel fand. Eine tolle Show
boten Alvir Aco und Zhu Chen den mitfiebernden Kiebitzen. In
beiderseitiger Zeitnot verdarb Aco leider Gottes die Chance, mit
einem greifbar nahe scheinenden Sieg den Wettkampf unentschieden
zu halten.
Nicht leicht ist die Aufgabe gegen Quatar mit 4 Titelträgern und
GM auf Brett 1..
Harald Genser erreicht mit Schwarz souverän ein Remis...
... während Ex-WM Zhu Chen gegen Alvir hart zu kämfen hat.
Das Finale zieht beide Delegationen in ihren Bann. Links die
Österreicher, rechts das Team aus Quatar. Die taktische
Schlusspointe gehört leider Zhu Chen.
Foto-Highlights der Runde:
Knapp vor 15.00 Uhr strömen Zuschauer und Spieler in die Halle...
... vorbei geht´s an der Computer-WM im Voraum (hier
spielen gerade
Junior gegen Shredder).
Die Ersten nehmen bereits ihren Platz ein.
Die Zuschauer drängen zu den interessantesten Brettern.
Deutschlands Christopher Lutz.
Letzte Lockerungsübungen der Gesichtsmuskulatur.
Russlands Rublevsky rückt seine Figuren zurecht.
... und Anand scherzt mit Besel Kok, der beim FIDE-Kongress um
die Präsidentschaft antritt.
USA gegen China.
Bu, die Nummer 1 von China...
... schlägt Gata Kamsky. Dennoch siegt die USA.
Im Focus der Zuschauer und Fotografen...
... müssen die Russen durch Absperrung geschützt werden.
Im Mannschaftsdress spielt es sich leichter.
Brettbrille, der neuste Schrei der WM.
Skripchenko wirkt schon ein wenig müde von den
Turnieranstrengungen.
Hellwach werden die ersten Züge aufs Brett gesetzt.
Ungarn gegen Russland...
... mit einer total vertieften Kosteniuk auf Brett 1.
Chinas Damen haben Aufholbedarf.
Viktor Korschnoi präsentiert neue Bücher...
... das Fernsehen präsentiert Viktor Kortschnoi.
Wer Zeit hat kann schnell mal ...
... am Stand einen Fiat kaufen.
Zurück in die Halle kommt man am Analyseraum vorbei.
Inzwischen werden die Endphasen der Partien...
... mit Spannung verfolgt,
und manchmal sogar gefilmt.
Tiefe Einblicke in die Stellung gelingen nur mit ...
vollster Konzentration.
Die Zeitregel von 90 Minuten + 30 Sekunden pro Zug...
... machen das Finish zur Nervensache unter den Augen der
Unparteiischen.
Die Zuschauer verfolgen die letzten Partien.
Eine davon spielt Kosintseva gegen Madl.
Turm gegen gefährlichen Randbauern ist das Zeitnotthema.
Österreichs Heinz Herzog sorgt für aktuelle Ergebnisse und
Auslosung...
... und bringt sie am Abend gleich mit zu den Österreichern.
Diesmal freut sich Karl-Heinz Schein über die lösbare Aufgabe
für sein Damenteam. Gegner in Runde 7 ist Südafrika.
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