Schach - OLYMPIADE 2008 

SPECIAL


Schach-Olympiade Dresden
12.11.-25.11.2008

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Olympia Tagebuch
(Karl Heinz Schein, Walter Kastner)
TAG 3

Dresden-Tagebuch 03


So, endlich geht es so richtig los. 


Auftakt mit Neuerungen

Die olympische Flagge lodert das olympische Fieber grassiert wieder. Hunderttausende Schachfans aus der ganzen Welt fieberten gestern mittels Live-Übertragung aller Partien mit, als knapp nach 1500 Uhr der Startgong ertönte. Wie euch sicherlich bekannt ist, wartet Dresden mit zwei ganz spektakulären Neuerungen auf. Zum einen ist es verboten, vor dem 30. Zug ein Remis anzubieten, und es war in der Tat spannend zu verfolgen, wie der Großteil der Partien (abgesehen von einigen mehr oder weniger forcierten Zugwiederholungen) verbissen umkämpft war. Ob man mit dieser Regelung die leidigen Kurzremisen verbannen wird, ist zweifelhaft, um die Remisseuche etwas einzudämmen, dazu scheint die Regel doch wirksam zu sein. Warten wir noch einige Runden ab!

Die zweite Neuerung wurde und wird noch heißer diskutiert. Sie besagt, dass ein Spieler, der bei Rundenbeginn nicht am Brett sitzt, die Partie kampflos verliert. Die bislang bekannte einstündige Wartefrist, bis die Partie kontumaziert wird, gehört in Dresden der Vergangenheit an. Das Prozedere läuft folgendermaßen ab: 5 Minuten vor dem offiziellen Rundenbeginn (also um 14 55 Uhr) schlägt der Hauptschiedsrichter zweimal einen Gong. Dies Zeichen ist die erste Warnung an alle SpielerInnen, ihre Plätze einzunehmen. Eine Minute vor Rundenbeginn wird der Gong nur noch einmal geschlagen. 60 Sekunden später ertönt ein lautes „Start“ und wer dann nicht m Brett sitzt, sollte sich bei seiner Mannschaft eine sehr gute Ausrede einfallen lassen, denn dann steht es bereits 1:0 für die Gegner. Kommen beide Gegner zu spät, wird die Partie mit 0:0 gewertet. In den ersten beiden Runden allerdings hat die FIDE eine Art Schonfrist eingeführt. Da es durchaus kompliziert ist, in der riesigen Halle mit über tausend Schachbrettern seinen Platz zu finden, wird die Regel erst ab der 3. Runde strikt geahndet. Heute kommt man noch mit einer Ermahnung davon, wenn man sich nach Ertönen des Startsignales mit hochrotem Kopf und heraushängender Zuge sich in den Stuhl hechtet, doch ab morgen wird es ernst. Wir sind schon gespannt, welchem Olympioniken die zweifelhafte Ehre zuteil werden wird, der Allererste zu sein, der  wegen Unpünktlichkeit  eine Partie verliert.  Ein nicht unbedingt anzustrebender „Titel“, wie ich meine…

Nach dieser etwas längeren Einführung kommen wir zu den tatsächlichen Ereignissen auf den 64 Feldern:


Herren Runde 1
Br. 19 NOR  Norway (NOR) Elo - 54 AUT  Austria (AUT) Elo 3 : 1
19.1 GM Carlsen Magnus 2786 - GM Ragger Markus 2518 1 - 0
19.2 GM Agdestein Simen 2588 - GM Kindermann Stefan 2517 ½ - ½
19.3 GM Lie Kjetil A 2526 - IM Atlas Valery 2465 1 - 0
19.4 GM Johannessen Leif Erlend 2545 - IM Neubauer Martin 2422 ½ - ½


Mit Norwegen hatte unser Herrenteam insofern ein „Traumlos“ erwischt, als dass Markus gegen das Wunderkind schlechthin, gegen den Norwegischen Superstar Magnus Carlsen ran musste, bzw. ran durfte. 



Und es war bewundernswert, welch großen Kampf  Markus lieferte. Unbeeindruckt von den Zuschauertrauben, die sich um das Brett scharten, von der ZDF-Fernsehkamera, die die gesamte Partie neben dem Brett lief, hielt er über die volle Distanz mit und brachte den Norweger an den Rand einer Niederlage. Ich hatte das Vergnügen, beim Abendessen mit Carlsen ein kurzes Interview führen zu können und ich fragte ihn über diese Partie. Magnus meinte, dass Markus die Eröffnung nicht sonderlich gut gespielt habe, denn nach dem weißen Vorstoß e6! habe er auf Gewinn gestanden. Allerdings sei sein Vorstoß h4 überambitioniert gewesen, denn er habe  den Zug …Da5 nicht genügend gewürdigt. Auf meine Frage, ob er Ragger eventuell unterschätzt habe, meinte Carlssen: „Ich habe nicht Markus unterschätzt, sondern die Verteidigungsressourcen seiner Stellung!“ Dann meinte er weiter, statt ...f3 sollte er…h3 spielen, dann dürfte Schwarz auf Gewinn stehen.

=> Kommentare von Carlsen siehe Olympiasplitter



Leider ließ sich Markus später nicht auf ein Abspiel ein, dass in ein Endspiel Turm gegen Turm und Läufer gemündet hätte und das als theoretisch remis gilt, allerdings nur unter Aufbietung aller Kräfte. Er meinte, einen klareren Remisweg mittels Blockadeideen gefunden zu haben, doch diese Festung knackte der Norweger mit  dem Stile eines absoluten Weltklassespielers. Schade, in dieser dramatischen Partie, die auch Präsident Jungwirth als hochinteressierter Augenzeuge mitverfolgt hatte, war definitiv eine wirkliche Sensation drinnen.



Auch am zweiten Brett lief es für Österreich anfangs durchaus erfreulich, hatte sich doch Stefan Kindermann gegen Simen Agdestein eine vorteilhafte Stellung herausgearbeitet. Ein übereiltes en passant Schlagen (als Agdestein …c5 auspackte) ließ jedoch den Großteil des Vorteils verpuffen. Stefan probierte noch alles Mögliche, doch musste er letzendlich mit der Punkteteilung zufrieden sein.

Einige bange Momente im  Spiel  Dame gegen zwei Türme musste Martin Neubauer überstehen, ehe er in den Remishafen steuerte. Valery Atlas kämpfte bei seinem Olympiadebut gegen seinen taktisch starken Gegner hervorragend und hielt die Stellung lange Zeit unklar. Ein unglücklicher Bauernvorstoß reichte allerdings, um die Waagschale endgültig in Richtung des Norwegers kippen zu lassen.

Fazit: Ein 1:3 gegen Norwegen ist kein Drama, allerdings blieben einige Chancen auf der Straße liegen und ein Mannschaftspunkt wäre nach dem Spielverlauf gerecht gewesen.


Damen Runde 1
Br. 9 POL  Poland (POL) Elo - 36 AUT  Austria (AUT) Elo 3 : 1
10.1 IM Socko Monika 2434 - WFM Kopinits Anna-Christina 2270 1 - 0
10.2 IM Rajlich Iweta 2404 - WFM Novkovic Julia 2161 0 - 1
10.3 WGM Zawadzka Jolanta 2378 - WIM Mira Helene 2115 1 - 0
10.4 WIM Majdan Joanna 2284 - Newrkla Katharina 2071 1 - 0


Bei den Damen sah die Sache ähnlich aus: Die beiden  Weißpartien  verliefen ganz im Zeichen der Österreicherinnen, die ohne Eva Moser in die Startrunde gingen. Das Glanzlicht des Tages aus  rot weiß roter Sicht setzte Julia Novkovic, die gegen die starke Internationale Meisterin Iweta Rajlich eine ganz hervorragende Partie spielte. Solide, aber doch immer wieder mit einigen unkonventionellen Ideen und Manövern aufwartend, verwirrte sie die etwas zu verbissen agierende Polin zusehends und triumphierte im Endspiel auf überragende Wiese.  Bravo Julia, ein toller Einstand im österreichischen Olympiateam. Die zweite Debutantin, Katharina Newrlka, stand ebenfalls äußerst aussichtsreich, ehe sie in Zeitnot der Gegnerin etwas zuviel Gegenspiel überließ, das ihr schlussendlich zum Verhängnis wurde. Hier war definitiv mehr drin. Das aktiv ausgerichtete Spiel von Kathi lässt uns noch einiges von ihr erwarten.


Voll konzentriert: Julia Novkovic beim Olympia-Debut


Katharina Newkla

Die beiden Schwarzpartien gingen leider ebenfalls verloren. Helene Mira wählte bereits ausgangs der Eröffnung einen äußerst unglücklichen Zug, der ihrer Gegnerin im Endeffekt eine Figur für zwei Bauern einbrachte. Danach erwachte Helenes Kämpferherz so richtig und zog die Partie noch beinahe 80 Züge lang hin, immer auf der Suche nach aktivem Gegenspiel. Um ein Haar wäre ihr Kampfgeist noch belohnt worden, doch die erfahrene Polin ließ sich die Butter eben nur beinahe vom Brot nehmen.

Am Spitzenbrett hatte Anna Christina Kopinits gegen Großmeisterin Socko natürlich einen schweren Stand. Nachdem Tina ihre Ausgleichschancen ausgangs der Eröffnung nicht wahrgenommen hatte, war die Partie trotz heftiger Gegenwehr nicht zu retten.

Auch bei den Damen also 1: 3.



Daumendrücken ist also angesagt für die ersten Matchpunkte, die heute aber erwartet werden dürfen. Die Herren treten gegen Jordanien an, die Damen gegen das IPCA-Team; dies ist eine Mannschaft, die sich aus körperlich behindertet SpielerInnen zusammensetzt. Ab 15 Uhr heißt es also wieder: Mitfiebern, Daumendrücken, bis bald!

Eine ausführliche Fotogalerie folgt...


Wer ist der große Favorit?

Lassen wir das „Dresdener Urgestein“, Großmeister Wolfgang Uhlmann (73)  zu Wort kommen. Er war der erste Großmeister der DDR und gehörte in den 60-er und 70-er Jahren zur absoluten Weltspitze. Der Dresdener spielte gegen nahezu alle Topspieler seiner Zeit und gewann dabei viele Partien. Bei der Schacholympiade 1964 in Tel Aviv wurde er bester Spieler am Spitzenbrett.

Seine Einschätzung der Lage hört sich folgendermaßen an:

„Die Konkurrenz ist zwar riesig, aber Favoriten gibt es auch diesmal. Bei den Männern ist  das für mich Russland mit Exweltmeister Wladimir Kramnik an der Spitze. Ihm muss ich ein großes Kompliment aussprechen. Nach der Niederlage gegen Viswanathan Anand bei der Einzel-WM in Bonn vor zwei Wochen lässt er es sich nicht nehmen, sein Team hier zu unterstützen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schmerzlich eine Matchniederlage sein kann. Als ich beispielsweise mein Kandidatenmatch 1971 gegen Larsen in Las Palmas verlor, hat mich das lange gewurmt. Aber selbst wenn Kramnik müde sein sollte – in seiner Mannschaft stehen weitere vier Klassespieler, die alle zu den Top ten der Welt gehören. Gold ist ihr sehnlichster Wunsch. Noch einmal ohne Medaille wie 2006 in Turin können sie nicht heimkehren.

Aber Prognosen erweisen sich nicht immer als richtig. Häufig entscheidet im Sport die Tagesform. Auch andere Mannschaften haben große Ziele. So muss man Titelverteidiger Armenien reale Siegchancen einräumen, und China, der Silbermedaillengewinner von Turin, ist auch nicht zu verachten. Die Spieler aus dem Reich der Mitte haben eine ganz junge Mannschaft und schachspezifisch am meisten aufgeholt. Aussichtsreich sehe ich auch die USA-“




Website of the
Austrian Chess Federation


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