Dresden-Tagebuch
03
So, endlich geht es so richtig los.
Auftakt mit Neuerungen
Die olympische Flagge lodert das olympische Fieber grassiert
wieder. Hunderttausende Schachfans aus der ganzen Welt fieberten
gestern mittels Live-Übertragung aller Partien mit, als knapp
nach 1500 Uhr der Startgong ertönte. Wie euch sicherlich
bekannt ist, wartet Dresden mit zwei ganz spektakulären
Neuerungen auf. Zum einen ist es verboten, vor dem 30. Zug ein
Remis anzubieten, und es war in der Tat spannend zu verfolgen,
wie der Großteil der Partien (abgesehen von einigen mehr oder
weniger forcierten Zugwiederholungen) verbissen umkämpft war.
Ob man mit dieser Regelung die leidigen Kurzremisen verbannen
wird, ist zweifelhaft, um die Remisseuche etwas einzudämmen,
dazu scheint die Regel doch wirksam zu sein. Warten wir noch
einige Runden ab!
Die zweite Neuerung wurde und wird noch heißer diskutiert. Sie
besagt, dass ein Spieler, der bei Rundenbeginn nicht am Brett
sitzt, die Partie kampflos verliert. Die bislang bekannte einstündige
Wartefrist, bis die Partie kontumaziert wird, gehört in Dresden
der Vergangenheit an. Das Prozedere läuft folgendermaßen ab: 5
Minuten vor dem offiziellen Rundenbeginn (also um 14 55 Uhr)
schlägt der Hauptschiedsrichter zweimal einen Gong. Dies
Zeichen ist die erste Warnung an alle SpielerInnen, ihre Plätze
einzunehmen. Eine Minute vor Rundenbeginn wird der Gong nur noch
einmal geschlagen. 60 Sekunden später ertönt ein lautes
„Start“ und wer dann nicht m Brett sitzt, sollte sich bei
seiner Mannschaft eine sehr gute Ausrede einfallen lassen, denn
dann steht es bereits 1:0 für die Gegner. Kommen beide Gegner
zu spät, wird die Partie mit 0:0 gewertet. In den ersten beiden
Runden allerdings hat die FIDE eine Art Schonfrist eingeführt.
Da es durchaus kompliziert ist, in der riesigen Halle mit
über tausend Schachbrettern seinen Platz zu finden, wird
die Regel erst ab der 3. Runde strikt geahndet. Heute kommt man
noch mit einer Ermahnung davon, wenn man sich nach Ertönen des
Startsignales mit hochrotem Kopf und heraushängender Zuge sich
in den Stuhl hechtet, doch ab morgen wird es ernst. Wir sind
schon gespannt, welchem Olympioniken die zweifelhafte Ehre
zuteil werden wird, der Allererste zu sein, der
wegen Unpünktlichkeit eine
Partie verliert. Ein
nicht unbedingt anzustrebender „Titel“, wie ich meine…
Nach dieser etwas längeren Einführung kommen wir zu den tatsächlichen
Ereignissen auf den 64 Feldern:
Herren Runde 1
Br. |
19 |
Norway
(NOR) |
Elo |
- |
54 |
Austria
(AUT) |
Elo |
3
: 1 |
19.1 |
GM |
Carlsen Magnus |
2786 |
- |
GM |
Ragger Markus |
2518 |
1 - 0 |
19.2 |
GM |
Agdestein Simen |
2588 |
- |
GM |
Kindermann Stefan |
2517 |
½ - ½ |
19.3 |
GM |
Lie Kjetil A |
2526 |
- |
IM |
Atlas Valery |
2465 |
1 - 0 |
19.4 |
GM |
Johannessen Leif
Erlend |
2545 |
- |
IM |
Neubauer Martin |
2422 |
½ - ½ |
Mit Norwegen hatte unser Herrenteam insofern ein „Traumlos“
erwischt, als dass Markus gegen das Wunderkind schlechthin,
gegen den Norwegischen Superstar Magnus Carlsen ran musste, bzw.
ran durfte.
Und es war bewundernswert, welch großen Kampf
Markus lieferte. Unbeeindruckt von den Zuschauertrauben,
die sich um das Brett scharten, von der ZDF-Fernsehkamera, die
die gesamte Partie neben dem Brett lief, hielt er über die
volle Distanz mit und brachte den Norweger an den Rand einer
Niederlage. Ich hatte das Vergnügen, beim Abendessen mit
Carlsen ein kurzes Interview führen zu können und ich fragte
ihn über diese Partie. Magnus meinte, dass Markus die Eröffnung
nicht sonderlich gut gespielt habe, denn nach dem weißen Vorstoß
e6! habe er auf Gewinn gestanden. Allerdings sei sein Vorstoß
h4 überambitioniert gewesen, denn er habe
den Zug …Da5 nicht genügend gewürdigt. Auf meine
Frage, ob er Ragger eventuell unterschätzt habe, meinte
Carlssen: „Ich habe nicht Markus unterschätzt, sondern die
Verteidigungsressourcen seiner Stellung!“ Dann meinte er
weiter, statt ...f3 sollte er…h3 spielen, dann dürfte Schwarz
auf Gewinn stehen.
=> Kommentare
von Carlsen siehe Olympiasplitter
Leider ließ sich Markus später nicht auf ein Abspiel ein, dass
in ein Endspiel Turm gegen Turm und Läufer gemündet hätte und
das als theoretisch remis gilt, allerdings nur unter Aufbietung
aller Kräfte. Er meinte, einen klareren Remisweg mittels
Blockadeideen gefunden zu haben, doch diese Festung knackte der
Norweger mit dem
Stile eines absoluten Weltklassespielers. Schade, in dieser
dramatischen Partie, die auch Präsident Jungwirth als
hochinteressierter Augenzeuge mitverfolgt hatte, war definitiv
eine wirkliche Sensation drinnen.
Auch am zweiten Brett lief es für Österreich anfangs durchaus
erfreulich, hatte sich doch Stefan Kindermann gegen Simen
Agdestein eine vorteilhafte Stellung herausgearbeitet. Ein übereiltes
en passant Schlagen (als Agdestein …c5 auspackte) ließ jedoch
den Großteil des Vorteils verpuffen. Stefan probierte noch
alles Mögliche, doch musste er letzendlich mit der
Punkteteilung zufrieden sein.
Einige bange Momente im Spiel
Dame gegen zwei Türme musste Martin Neubauer überstehen,
ehe er in den Remishafen steuerte. Valery Atlas kämpfte bei
seinem Olympiadebut gegen seinen taktisch starken Gegner
hervorragend und hielt die Stellung lange Zeit unklar. Ein unglücklicher
Bauernvorstoß reichte allerdings, um die Waagschale endgültig
in Richtung des Norwegers kippen zu lassen.
Fazit: Ein 1:3 gegen Norwegen ist kein Drama, allerdings blieben
einige Chancen auf der Straße liegen und ein Mannschaftspunkt wäre
nach dem Spielverlauf gerecht gewesen.
Damen Runde 1
Br. |
9 |
Poland
(POL) |
Elo |
- |
36 |
Austria
(AUT) |
Elo |
3
: 1 |
10.1 |
IM |
Socko Monika |
2434 |
- |
WFM |
Kopinits
Anna-Christina |
2270 |
1 - 0 |
10.2 |
IM |
Rajlich Iweta |
2404 |
- |
WFM |
Novkovic Julia |
2161 |
0 - 1 |
10.3 |
WGM |
Zawadzka Jolanta |
2378 |
- |
WIM |
Mira Helene |
2115 |
1 - 0 |
10.4 |
WIM |
Majdan Joanna |
2284 |
- |
|
Newrkla Katharina |
2071 |
1 - 0 |
Bei den Damen sah die Sache ähnlich aus: Die beiden
Weißpartien verliefen
ganz im Zeichen der Österreicherinnen, die ohne Eva Moser in
die Startrunde gingen. Das Glanzlicht des Tages aus
rot weiß roter Sicht setzte Julia Novkovic, die gegen
die starke Internationale Meisterin Iweta Rajlich eine ganz hervorragende Partie spielte.
Solide, aber doch immer wieder mit einigen unkonventionellen
Ideen und Manövern aufwartend, verwirrte sie die etwas zu
verbissen agierende Polin zusehends und triumphierte im Endspiel
auf überragende Wiese. Bravo
Julia, ein toller Einstand im österreichischen Olympiateam. Die
zweite Debutantin, Katharina Newrlka, stand ebenfalls äußerst
aussichtsreich, ehe sie in Zeitnot der Gegnerin etwas zuviel
Gegenspiel überließ, das ihr schlussendlich zum Verhängnis
wurde. Hier war definitiv mehr drin. Das aktiv ausgerichtete
Spiel von Kathi lässt uns noch einiges von ihr erwarten.
Voll konzentriert: Julia Novkovic beim Olympia-Debut
Katharina Newkla
Die beiden Schwarzpartien gingen leider ebenfalls verloren.
Helene Mira wählte bereits ausgangs der Eröffnung einen äußerst
unglücklichen Zug, der ihrer Gegnerin im Endeffekt eine Figur für
zwei Bauern einbrachte. Danach erwachte Helenes Kämpferherz so
richtig und zog die Partie noch beinahe 80 Züge lang hin, immer
auf der Suche nach aktivem Gegenspiel. Um ein Haar wäre ihr
Kampfgeist noch belohnt worden, doch die erfahrene Polin ließ
sich die Butter eben nur beinahe vom Brot nehmen.
Am Spitzenbrett hatte Anna Christina Kopinits gegen Großmeisterin
Socko natürlich einen schweren Stand. Nachdem Tina ihre
Ausgleichschancen ausgangs der Eröffnung nicht wahrgenommen
hatte, war die Partie trotz heftiger Gegenwehr nicht zu retten.
Auch bei den Damen also 1: 3.
Daumendrücken ist also angesagt für die ersten Matchpunkte,
die heute aber erwartet werden dürfen. Die Herren treten gegen
Jordanien an, die Damen gegen das IPCA-Team; dies ist eine
Mannschaft, die sich aus körperlich behindertet SpielerInnen
zusammensetzt. Ab 15 Uhr heißt es also wieder: Mitfiebern,
Daumendrücken, bis bald!
Eine ausführliche Fotogalerie folgt...
Wer ist der große Favorit?
Lassen wir das „Dresdener Urgestein“, Großmeister Wolfgang
Uhlmann (73) zu Wort
kommen. Er war der erste Großmeister der DDR und gehörte in
den 60-er und 70-er Jahren zur absoluten Weltspitze. Der
Dresdener spielte gegen nahezu alle Topspieler seiner Zeit und
gewann dabei viele Partien. Bei der Schacholympiade 1964 in Tel
Aviv wurde er bester Spieler am Spitzenbrett.
Seine Einschätzung der Lage hört sich folgendermaßen an:
„Die Konkurrenz ist zwar riesig, aber Favoriten gibt es auch
diesmal. Bei den Männern ist
das für mich Russland mit Exweltmeister Wladimir Kramnik
an der Spitze. Ihm muss ich ein großes Kompliment aussprechen.
Nach der Niederlage gegen Viswanathan Anand bei der Einzel-WM in
Bonn vor zwei Wochen lässt er es sich nicht nehmen, sein Team
hier zu unterstützen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie
schmerzlich eine Matchniederlage sein kann. Als ich
beispielsweise mein Kandidatenmatch 1971 gegen Larsen in Las
Palmas verlor, hat mich das lange gewurmt. Aber selbst wenn
Kramnik müde sein sollte – in seiner Mannschaft stehen
weitere vier Klassespieler, die alle zu den Top ten der Welt gehören.
Gold ist ihr sehnlichster Wunsch. Noch einmal ohne Medaille wie
2006 in Turin können sie nicht heimkehren.
Aber Prognosen erweisen sich nicht immer als richtig. Häufig
entscheidet im Sport die Tagesform. Auch andere Mannschaften
haben große Ziele. So muss man Titelverteidiger Armenien reale
Siegchancen einräumen, und China, der Silbermedaillengewinner
von Turin, ist auch nicht zu verachten. Die Spieler aus dem Reich
der Mitte haben eine ganz junge Mannschaft und schachspezifisch
am meisten aufgeholt. Aussichtsreich sehe ich auch die USA-“
|