Dresden-Tagebuch
06
Auf nette Weise
wurde gestern das österreichische Lager in Dresden verstärkt.
Im Rahmen des „Internationalen Jugendcamps Dresden“ reiste
auch eine kleine Delegation aus Österreich an, bestehend aus
den Tiroler Jugendspielern Fabian Platzgummer und Georg Braun
sowie dem Steirer Florian Pracher. Florian, mein Klubkollege vom
Schachklub Leoben, traf ich am Nachmittag in der Spielhalle und
gemeinsam mit Martin Neubauer besuchten wir am
Abend das Musical „Chess“. Komponiert von den beiden ABBA-Männern
Benny Anderson und Björn Ulvaeus und uraufgeführt in London in
den 80-er Jahren, schildert das farbenprächtige Spektakel den
OST-West-Konflikt im Rahmen einer Schachweltmeisterschaft
zwischen einem Amerikaner und einem Russen. Das kommt euch
bestimmt irgendwie bekannt vor. In der Tat: Gewisse Eigenheiten
des unvergesslichen Bobby Fischer standen Pate für die Handlung
des Stücks.
Das Musical - am
bekanntesten ist der Song „One night in Bangkog“ - wurde
eigens wegen der Schacholympiade in Dresden aufgeführt, und
zwar in der berühmten Dresdener Staatsoperette. Dieses
Operettenhaus ist das einzige in Deutschland mit einem fest
engagierten Operetten-Ensemble. Und das merkte man. Ein
engagiertes, ambitioniertes und zugleich hochprofessionelles
Team zeigte eine mitreißende Aufführung. In der Bildergalerie
präsentieren wir weitere Aufnahmen.
Neueste Zahlen und Fakten
rund um die Schacholympiade:
Am vierten Spieltag stehen nun die endgültigen
Teilnehmerzahlen fest. „Nachlosungen oder weitere
Nominierungen von Spielern sind nicht mehr möglich“, erklärt
Werner Stubenvoll vom Technical Administration Panel (TAP).
1270 aktive gemeldete Schachspielerinnen und Schachspieler sind
bei der Olympiade in Dresden dabei, davon 722 Männer in 146
Mannschaften und 548 Frauen in 111 Teams. Hinzu kommen 257
Mannschaftskapitäne und 120 Schiedsrichter. Mehrere Hundert
Betreuer, Journalisten, Ärzte, Köche und FIDE-Offizielle
begleiten die Teilnehmer. Deren genaue Anzahl wird zum Ende des
Turniers bekannt gegeben. Die Spieler der 38. Schacholympiade
kommen aus 141 Ländern.
Unter den Mitspielern befinden sich 253 Großmeister, 65
weibliche Großmeister, 176 internationale Meister, 90 weibliche
internationale Meister, 91 FIDE-Meister und 86 weibliche
FIDE-Meister.
Das schnellste Matt der
Olympiade bisher:
In der ersten Runde kam es im Kampf zwischen Nicaragua und den
Seychellen am zweiten Brett zu der ersten beendeten Partie der
Olympiade. Und das ging verdammt schnell: Schon nach 11 Zügen
hatte der Nicaraguaner Jorge Picado seinen Kontrahenten Vital
Keith mattgesetzt. Am Ende der Partie hatte der erst zehnjährige
Vital fünf Minuten, sein Gegner (ELO 2219) nur Sekunden
Bedenkzeit verbraucht. Der junge Mann will das olympische
Turnier nutzen, um Erfahrungen zu sammeln – und bald seine
Gegner im gleichen Stile mattzusetzen. Am zweiten Tag gegen
Mauritius erging es Vital ähnlich – Dresden ist zum Lernen
da!
Kommen wir nun zu den aktuellen Ereignissen auf den 64 Feldern:
Herren Runde 4
Br. |
54 |
Austria
(AUT) |
Elo |
- |
77 |
Turkmenistan
(TKM) |
Elo |
3
: 1 |
33.1 |
GM |
Ragger Markus |
2518 |
- |
IM |
Kakageldyev
Amanmurad |
2449 |
1 - 0 |
33.2 |
GM |
Kindermann Stefan |
2517 |
- |
FM |
Esenov Annaberdi |
2319 |
1 - 0 |
33.3 |
IM |
Atlas Valery |
2465 |
- |
|
Atabaev Yusyup |
2219 |
1 - 0 |
33.4 |
IM |
Neubauer Martin |
2422 |
- |
IM |
Amanov Mesgen |
2357 |
0 - 1 |
Wie lange hält der Erfolgslauf der Österreicher noch an? Beide
Teams gewinnen zum dritten Mal hintereinander und halten damit
jeweils bei ausgezeichneten 6 Matchpunkten! Beginnen wir bei den
Herren. Das Team aus Turkmenistan erwies sich als erwartet zäh
und spielstark. Da war es besonders wichtig, dass Valery Atlas
die Mannschaft mit einem schön heraus gespielten Sieg gegen die
französische Verteidigung rasch in Führung brachte. Dem
druckvollen Angriffsspiel am Königsflügel hatte Valerys Gegner
nichts entgegenzusetzen. Die Niederlage von Martin Neubauer
bedeutete den Ausgleich für Turkmenistan. Martin schnappte sich
einen Bauern auf c3, allerdings musste er danach auf die Rochade
verzichten, und seine Bauernstellung wurde kompromittiert.
Deshalb kam nie so richtig Freude über den Mehrbauern auf. Den
Schlussteil der Partie spielte der Turkmene äußerst genau. Es
blieb unseren beiden Spitzenbrettern vorbehalten, den Wettkampf
deutlich für Österreich zu entscheiden. Stefan Kindermann
spielte als Schwarzer in der französischen Abtauschvariante
sehr bald den provokanten Vorstoß g7-g5. Weiß konterte mit
einem Figurenopfer auf g5. Objektiv zwar nicht ganz korrekt,
stellte diese Fortsetzung unseren Großmeister vor einige
praktische Probleme und er musste sich äußerst genau
verteidigen. Nachdem er geduldig die weißen Angriffsmöglichkeiten
neutralisiert hatte, verblieb er mit einer Mehrqualität und
realisierte seinen materiellen Vorteil. Eine weitere Glanzpartie
spielte Markus Ragger auf Brett 1. Faszinierend war es
mitzuverfolgen, wie sein druckvolles Spiel in ein Qualitätsopfer
und schlussendlich in einen sehenswerten Angriffsswirbel mündete.
Markus Ragger spielt erneut souverän im Blickfeld von Zoltan
Ribli
Das 3:1 gegen Turkmenistan ist ein beachtliches Ergebnis. Der
Lohn dafür: Ein Wettkampf gegen das Weltklasseteam aus Indian
an Tisch 6! Das Heimatland des Weltmeisters Anand wird mit vier
absoluten Spitzengroßmeistern antreten, was dem Optimismus in
unserem Team aber keinen Abbruch tut. Spannende Kämpfe ab 1500
Uhr sind wiederum garantiert.
Damen Runde 4
Br. |
36 |
Austria
(AUT) |
Elo |
- |
61 |
Bangladesh
(BAN) |
Elo |
3
: 1 |
24.1 |
IM |
Moser Eva |
2376 |
- |
WFM |
Shamima Akter
Liza |
2094 |
1 - 0 |
24.2 |
WFM |
Kopinits
Anna-Christina |
2270 |
- |
|
Khan Nazrana |
1987 |
1 - 0 |
24.3 |
WFM |
Novkovic Julia |
2161 |
- |
WFM |
Parveen Seyda
Shabana |
2079 |
½ - ½ |
24.4 |
|
Newrkla Katharina |
2071 |
- |
WFM |
Parveen Tanima |
2066 |
½ - ½ |
Auch das Damenteam bereit den österreichischen Schachfans viel
Freude. Bangladesh wurde mit 3:1 bezwungen, wiederum ohne
individuelle Niederlage. Genau wie bei den Herren zeigen sich
bislang unsere beiden Spitzenbretter ohne auch nur das geringste
Anzeichen einer Schwäche. Eva Moser auf Brett 1 packte eine
gifitge, nur scheinbar zurückhaltende Eröffnungsstrategie aus.
Nach einem Zwischenschach auf f7 erholte sich die schwarze
Stellung nicht mehr und der ungefährdete Sieg ließ auch die übrigen
SpielerInnen etwas leichter spielen. Tina Kopinits zeigte, dass
sie sich mittlerweile auch in schwerblütigen Positionspartien
heimisch fühlt. Wie sie auf den schlechten weißen Läufer
spielte, war beeindruckend.
Zwar brachte sie diesmal keine Springergabel an, doch ihr
Springer wurde wiederum zum Helden der Partie. Schlussendlich
war es ihm vergönnt, mit einem Schach auf h3 das zweizügige
Matt einzuleiten!
Dritter Sieg in Serie für Kopinits und unser Damenteam
Weiterhin
ohne Niederlage ist Julia Novkovic. Mit ihrem gestrigen Remis hält
sie bei 3 aus 4. Super! Katharina musste sich zuerst mit einem
Isolani auseinandersetzen, dann das gegnerische Läuferpaar
neutralisieren, was ihr ausgezeichnet gelangt. Das Remis durch
Zugwiederholung war das gerechte Ergebnis einer korrekten
Partie.
Unter dem Strich steht ein deutlicher 3:1 Erfolg für unsere
Schachamazonen. Heute wird es um einiges schwieriger. Gegen die
tschechische Republik sind wir zwar Außenseiter, aber…
Also, 15 00 Uhr: Computer einschalten, mit fiebern und Daumen drücken,
wenn es heißt, Indien gegen Österreich bei den Herren und
Tschechien gegen Österreich bei den Damen.
Lang lebe unser König!
Heute nach der Runde findet übrigens die legendäre
„Bermuda-Party“ – das große Fest für die versammelte
internationale Schachfamilie - statt,
deshalb ist für morgen der erste Ruhetag anberaumt.
Ein weiterer Blick auf Dresden:
Gestern habe ich die Frauenkirche vorgestellt. Unweit dieses berühmten
Bauwerks findet sich ein kleines Gässchen, das eine
bemerkenswerte Besonderheit aufweist, nämlich den sogenannten Fürstenzug.
Dies ist ein überlebensgroßes
Bild eines Reiterzuges, der auf rund 25.000 Keramikfliesen
aufgetragen wurde und als das größte Porzellanbild der Welt
gilt. Es stellt die tausendjährige Geschichte des Fürstenhauses
Wettin dar. In der Augustusstraße, also zwischen der
Frauenkirche und der Semperoper, wurde dieses Kunstwerk auf der
Außenseite des Langen Ganges an der Nordwand des Stallhofs vom Schloss angebracht. Heute ist es
eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten in Dresden. Die Luftangriffe auf Dresden am Ende des Zweiten Weltkriegs im Februar 1945
überstand der Fürstenzug wie durch ein Wunder. Es mussten nur
etwa 200 Fliesen ersetzt werden. Von 1979 bis 1980 wurde das
Bild gereinigt und restauriert. Einige Daten:
-
102 m Länge
-
9,5 m Höhe
-
957 m²
Fläche
-
ca.
25.000 Fliesen
Im Rahmen
der 800-Jahr-Feier der Stadt Dresden im Jahr 2006 wurde der Fürstenzug
als "lebendiges Bild" erstmals in Szene gesetzt. Seit
Mai 2007 sind die Kostüme in einer Ausstellung auf Schloss
Rochlitz zu sehen. Insgesamt werden 94 Personen abgebildet,
davon 35 Markgrafen,
Kurfürsten
und Könige Sachsens sowie 59 Wissenschaftler,
Künstler,
Handwerker, Soldaten, Kinder und Bauern.
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