Schach - OLYMPIADE 2008 

SPECIAL


Schach-Olympiade Dresden
12.11.-25.11.2008

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Olympia Tagebuch
(Karl Heinz Schein, Walter Kastner)
TAG 8

Dresden-Tagebuch 08


Der Ruhetag ist vorbei, die Kämpfe auf den 64 Feldern gehen weiter und die 6. Runde hatte es gestern wieder so richtig in sich. Aus österreichischer Sicht gab es mehrere extrem positive Ereignisse, und es ist nicht klar, worüber man sich mehr freuen soll. Ist es die tolle Partie von Eva Moser, die Weltmeisterin Kostenjuk an den Rand einer Niederlage brachte, oder ist es unsere Nummer 1, Markus Ragger? Er zerlegte den ägyptischen Großmeister Adly in einer atemberaubenden Kombinationspartie! Freuen wir uns gar  am meisten über die kämpferische Leistung von Tina Kopinits, die sich mehr als 100 Züge lang gegen die drohende  Niederlage stemmte und schlussendlich den Remishafen erreichte. Ihr seht, freudige Anlässe gibt es mehr als genug, aber der Reihe nach:


Herren Runde 6

Br. 54 AUT  Austria (AUT) Elo - 49 EGY  Egypt (EGY) Elo 3½: ½
26.1 GM Ragger Markus 2518 - GM Adly Ahmed 2586 1 - 0
26.2 GM Kindermann Stefan 2517 - GM Amin Bassem 2560 1 - 0
26.3 IM Atlas Valery 2465 - IM Ezat Mohamed 2425 1 - 0
26.4 IM Baumegger Siegfried 2445 - IM Frhat Ali 2418 ½ - ½



Bei den Herren traten wir gegen Ägypten an, ein starkes Team, das in der Setzliste ungefähr 10 Plätze vor uns liegt. Zoltan Ribli erwartete ein hauchdünnes Ergebnis und konnte oder wollte keine der beiden Mannschaften favorisieren. Umso phantastischer ist der letztendlich klar und deutlich heraus gespielte 3,5:0,5 Erfolg für unser Team. Und wie er zustande kam! Weiter oben habe ich bereits die Glanzpartie von Markus erwähnt. Mit der Neuerung …Dxa2 konfrontiert, fand er am Brett eine phantastische Lösung, seine Figuren harmonisch zusammenwirken zu lassen. In der entscheidenden Phase verdient praktisch jeder Zug ein Rufzeichen.  Faszinierend, wie er einem Hochseilartisten gleich, in einem wahren Balanceakt ohne Netz  traumwandlerisch sicher auf dünnem Seil balancierte. Auch ohne allzu dicke rotweißrote Brille kann man dieser Partie ohne zu zögern den Titel „Angriffspartie der Runde“ verleihen (siehe Olympiasplitter). Die Elo-Performance von Markus beträgt in diesem Turnier momentan 2685!!


Baumegger spielt Damenindisch, daneben Atlas


Daneben sollten aber unsere beiden weiteren, glänzend heraus gespielten Siege nicht verblassen. Während zwei Stockwerke über dem Spielsaal GM Wolfgang Uhlmann in einer Autogrammstunde sein Buch „Französisch-richtig gespielt“ vorstellte und signierte, lieferte Stefan Kindermann praktischen Anschauungsunterricht, wie man diesen programmatischen Titel in der Praxis umsetzte. 


Ein Leben lang Französisch - Wolfgang Uhlmann


Eine Französisch-Partie aus einem Guss, mit lehreichen Manövern und einer netten Schlusswendung  gespickt, entzückt das Herz des Nachspielenden. Valery Atlas entpuppt sich als Meister darin, wenn es geht, halboffene Eröffnungen zu knacken. Diesmal bekam er es mit der Caro-Kann-Verteidigung zu tun. In der Vorstoßvariante spielte er auf umfassenden Raumgewinn, schnürte seinen Gegner systematisch ein und nahm dazu noch alles Material mit, was er auf der Strecke so vorfand. Positionell haushoch überlegen und dazu zwei Läufer mehr – die Schlussstellung spricht Bände.

Siegfried Baumegger an Brett 4 brachte die solide damenindische Verteidigung aufs Brett und gestattete seinem Gegner in keiner Phase der Partie einen ernsthaften Vorteil. Mit einem 3:0 im Rücken kam ihm ein Remisangebot leicht über die Lippen, das prompt angenommen wurde.

Ein glorreicher Sieg gegen einen starken Gegner! Heute wird es allerdings noch um ein Stück härter. Slowenien, auf Platz 26 gereiht (zur Erinnerung: Österreich liegt in der Setzliste beinahe 20 Plätze zurück auf Rang 54) wird uns das Leben nicht leicht machen. Angeführt von Alexander Beljavski und Dusko Pavasovic ist es in der Tat eine Respekt einflößende Truppe. Also ab 15.00 Uhr weiterhin fest Daumen drücken!


Damen Runde 6

Br. 36 AUT  Austria (AUT) Elo - 1 RUS  Russia (RUS) Elo 1 : 3
3.1 IM Moser Eva 2376 - GM Kosteniuk Alexandra 2525 ½ - ½
3.2 WFM Kopinits Anna-Christina 2270 - IM Kosintseva Nadezhda 2468 ½ - ½
3.3 WFM Novkovic Julia 2161 - IM Korbut Ekaterina 2459 0 - 1
3.4 Newrkla Katharina 2071 - WGM Pogonina Natalija 2474 0 - 1


Bei den Damen war die Ausgangslage anders: Alles andere als ein klarer Sieg der Russinnen gegen uns wäre schon eine kleine Katastrophe für die Schachnation Nr.1 gewesen. Dass unser Team aber nicht willens war, sich einfach widerstandslos die Punkte abzuknöpfen, zeigte eine nette Aktion, die für viele interessierte und aufmerksame Blicke der versammelten Presse sorgte. Am spielfreien Tag hatten unsere Damen die Idee, sich rotweißrote T-Shirts zu besorgen. In den weißen Streifen ließen sie eine warnende Aufschrift für ihre Gegnerinnen drucken: So waren denn die Russinnen die ersten, die zusammengesetzt folgende Aufschrift lesen konnten: „Attention!“ „We are in“ „good“ „form“. Das brachte auch unseren Präsidenten zum Schmunzeln, der zum zweiten mal nach Dresden angereist kam, beginnt doch heute der FIDE-Kongress.


Österreichs Team zeigt Humor vor dem Match gegen Russland


Das programmatische Motto ihrer T-Shirts schien in der ersten Spielstunde noch nicht richtig aufzugehen. Julia Novkovic spielte ein ungenaues Eröffnungskonzept, das von ihrer Gegnerin mit dem starken Vorstoß…g5! Praktisch widerlegt wurde. Damit war bereits in einem frühen Stadium die Hoffnung auf eine Sensation auf ein Minimum geschrumpft. Als auch Katharina Newrkla dem starken Druckspiel der Großmeisterin Natalja Pogonina nicht standhalten konnte, ging es nur noch darum, sich ehrenhaft aus der Affäre zu ziehen. Und dies gelang auf tolle Weise. Eva Moser spielte auf Brett 1 enorm konzentriert und motiviert gegen die frischgebackene Damenweltmeisterin Alexandra Kosteniuk. Als nach mehr als vierstündiger Spielzeit der Raumvorteil von Weiß immer bedrohlicher wurde, mehrten sich die sorgenvollen Gesichter der russischen Betreuer rund um Juri Razuvaev, die im Pressezentrum aufgeregt in die Monitore starrten. Eine Niederlage ihrer Weltmeisterin gegen die Österreicherin? Das wären bad News für Moskau gewesen. 


Sorgenvolle Blicke bei den Russen...


Hoffnungsvoll die Österreicherinnen


Mit all ihrer Kraft und Routine stemmte sich Kosteniuk gegen den Verlust. Leider konnte Eva in der entscheidenden Phase dem verlockenden Damentausch nicht widerstehen, gerade dies erlaubte es aber ihrer Gegnerin, die Stellung gerade noch zu halten. So nahm denn Eva die begeisterten Glückwünsche des Teams entgegen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sie eine Riesenchance verpasst habe, die regierende Weltmeisterin zu besiegen. Nicht traurig sein, Eva! Dieses großartige Kampfpartie und dein bisheriges Ergebnis von 4,5 aus 5 Partien am ersten Brett sprechen Bände. Ihre Perfomance bislang beträgt 2562!

Ein bemerkenswertes Bild hat sich mir eingeprägt. Ein fast leere, riesige Spielhalle, hunderte verwaiste Schachbretter, und irgendwo, verschwindend klein, eine Spielerin im rotweißroten T-Shirt. Über 100 Züge sind schon geschehen und Tina Kopinits wehrt sich noch immer gegen die russische Großmeisterin Nadeshda Kosintseva. Schon einige Stunden muss Tina eine Stellung mit Minusbauern verwalten. Als die Russin ihre Gewinnbemühungen einstellen muss, kann Tina strahlend die Gratulation ihrer Kolleginnen entgegennehmen. Selten hat eine Mannschaftsniederlage süß geschmeckt wie dieses 1:3 gegen Russland.


Der Kampf ist vorüber - das Remis geschafft!

Wie bei den Herren geht es auch bei den Damen heute gegen einen extrem schweren Gegner in den Ring. Es wartet auf uns nämlich Armenien. Die Nummer 6 in der Setzliste.

Also, um 1500Uhr geht es wieder los, wenn Hauptschiedsrichter Ignatius Leong in der Spielhalle wieder verkünden wird. „Ladies and Gentlemen, please start!“

Lang lebe unser König!


Der kommende Supersamstag

Für alle Schachfans zuhause, die das Wochenende nützen wollen, live bei dieser einmaligen Schachveranstaltung dabei zu sein und eine Reise nach Dresden planen, noch einige interessante Hinweise:

Die “World of Chess” im Rathaus der Landeshauptstadt Dresden als zweiter wichtiger Veranstaltungsort der Schacholympiade hat jeden Tag volles Programm zu bieten. Über Analysen, Autogrammstunden, Ausstellungen, Kabarett und Musikshows bis zum Treffpunkt zwischen Spielern und Zuschauern bei kostengünstiger Verpflegung ist alles dabei. Am Samstag, 22. November, steht ein Höhepunkt der Schachshow an: Weltrekordversuch für das Guinness-Buch der Rekorde!

Die längste Schachbuchstraße aller Zeiten soll es werden – mehrere TV-Sender haben sich angesagt, um das Ereignis zu filmen, ab 10 Uhr wird aufgebaut. Dieser Weltrekordversuch ist als „Inaugural Attempt“ von Guinness anerkannt und wird weltweit in die Guinness Publikationen Eingang finden. Das Motto der Schacholympiade trifft es exakt:  “Wir spielen eine Sprache”. Schach wird weltweit gespielt und die bildliche Darstellung der Spielzüge verstehen Eskimos genauso gut wie Europäer, Afrikaner oder Amerikaner.

Das ist aber längst nicht alles. Sonderumschlag mit Sonderbriefmarke sowie Sonderstempel mit dem Motiv des Goldenen Reiters werden am Samstag angeboten. Der Verein für Sächsische Postgeschichte und Philatelie e.V. verkauft die Restbestände des Sonderpostamts von vergangener Woche im Rahmen der Sammlerbörse ab 9.30 Uhr an der „World of Chess“ im Rathaus, Eingang Goldene Pforte. Interessenten finden auch andere Belege zu den Themen Schach, Dresden und Sachsen.

Die Sammlerbörse der Schachmotivsammler schließlich rundet das Angebot ab. Den ganzen Samstag über bis 16 Uhr findet sich Gelegenheit, Bücher und Briefmarken, Schachmaterial und -zubehör sowie allerlei Kostbares rund ums Thema Nr. 1 der Schacholympiade zu entdecken, zu erwerben und zu tauschen.

Blicken wir zum Schluss der heutigen Betrachtungen einmal aufs Gastgeberland Deutschland, das bislang hervorragend spielt und einen wahren Schachboom in der Presse ausgelöst hat:


Deutschland auf Medaillenkurs

Standing Ovations für Jan Gustafsson. Über eine Stunde kämpfte der Hamburger gegen den von der Wertungszahl her schier übermächtigen Alexander Morozevich am Montag, dem fünften Spieltag der Schacholympiade in Dresden, mit einem Bauern weniger, bis der Russe schließlich die Hand zum Remis reichte. Geschafft! Jan erreichte damit das zuvor für unmöglich gehaltene 2:2 Unentschieden gegen den Topfavoriten Nr. 1 und Deutschland befindet sich damit weiterhin auf Medaillenkurs. Hunderte von Zuschauern im Saal und am völlig überfüllten Kommentatorenplatz im Foyer erhoben sich von ihren Sitzen und applaudierten dem glücklichen, aber völlig erschöpften Bundesligaspieler, der Deutschland damit ganz vorne in der Spitze des Teilnehmerfeldes hielt.

„Ich bin aber keiner der Spieler“, lachte Bundestrainer Uwe Bönsch gleich nach seinem ZDF-Interview dem Autogrammjäger entgegen, der dann aber schlagfertig konterte: „Aber wie man sieht: Ein sehr guter Trainer“. In der Tat kann Deutschland mit dem bisherigen Turnierverlauf mehr als zufrieden sein. Gestern traf die Mannschaft nach dem ersten spielfreien Tag des Turniers auf die Ukraine, die zweitstärkste Mannschaft unter allen Teilnehmern.  Arkadij Naiditsch – mit vier Punkten aus fünf Spielen und einer Performance von 2.870 ELO-Punkten einer der besten Spieler des gesamten Turniers – kam die Aufgabe zu, Superstar Vasily Ivanchuk unter Kontrolle zu halten. Dies gelang und die Begeisterung rund um das Nationalteam wächst somit unaufhaltsam, das Medieninteresse übersteigt jede Prognose. Im Turniersaal befinden sich nun stets mehrere Fernsehteams auf der Jagd nach den besten Bildern, und mehr als 400 akkreditierte Journalisten drängen sich bereits beim weltweit größten Schachturnier. Tendenz: steigend!




Website of the
Austrian Chess Federation


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