Dresden-Tagebuch
09
Das
Wetter in Dresden hat umgeschlagen, grau sind Straßen und Häuser
und ein nasskalter Schneeregen sorgt für typische
Novemberstimmung. Auf dem Weg zum Turniersaal bläst einem ein
eisiger Herbstwind ins Gesicht.
Dass auf Sonnenschein eben immer wieder auch trübere Tage
folgen, diese Erkenntnis gilt nicht nur fürs Wetter, sondern
wir Schachspieler kennen diese Erfahrung auch aus eigenen
Erlebnissen nur zu gut - da macht auch unser Olympiateam keine
Ausnahme. Es war gestern wahrlich nicht „unser“ Tag und
beide Teams mussten schließlich die Überlegenheit ihrer
nominell klar stärkeren Gegner akzeptieren. Aber der Reihe
nach:
Herren Runde 7
Br. |
54 |
Austria
(AUT) |
Elo |
- |
28 |
Slovenia
(SLO) |
Elo |
1
: 3 |
19.1 |
GM |
Ragger Markus |
2518 |
- |
GM |
Beliavsky
Alexander G |
2619 |
½ - ½ |
19.2 |
IM |
Atlas Valery |
2465 |
- |
GM |
Pavasovic Dusko |
2597 |
0 - 1 |
19.3 |
IM |
Neubauer Martin |
2422 |
- |
IM |
Borisek Jure |
2548 |
0 - 1 |
19.4 |
IM |
Baumegger
Siegfried |
2445 |
- |
IM |
Skoberne Jure |
2501 |
½ - ½ |
Es war von vornherein klar, dass wir gegen Slowenien
nur geringe Außenseiterchancen besaßen. Zum einen ist
es eine Mannschaft, die auch an Brett 4 noch einen Spieler
jenseits der 2500-Elo Grenze auf bieten kann, zum anderen legte
gestern Stefan Kindermann einen wohlverdienten Ruhetag ein. Und
trotzdem lag das insgeheim angestrebte 2:2 durchaus im Bereich
des Möglichen. Nach
drei Spielstunden ergab sich nämlich folgende interessante
Konstellation: Markus hatte auf Brett 1 seinen bekannten Gegner,
GM Beljavski stets sicher unter Kontrolle und erzielte ein ungefährdetes
Remis.
Drei Musketiere kämpfen noch
Valery Atlas auf Brett 2 kämpfte verbissen in einem
Springerendspiel mit einem Minusbauern gegen Dusko Pavasovic und
es war lange nicht klar, ob der slowenische Spitzenspieler
seinen Endspielvorteil verwerten würde. Immerhin hatte Valery
stets die Chance, einen sehr gefährlichen entfernten Freibauern
zu kreieren. Allerdings spielte der Slowene mit eiserner Präzision
(wir erinnern uns: Pavasovic hatte in der Bundesligarunde
unmittelbar vor der Olympiade den Weltklassemann Nakamura überzeugend
geschlagen) und gewann das Endspiel Lehrbuchreif. Jetzt lag es
an unseren Brettern drei und vier, das Score ausgeglichen zu
halten. Ein Sieg musste her! Und tatsächlich, die Stellung von
Siegi Baumegger gab Anlass zu großen Hoffnungen. Er spielte das
Mittelspiel hervorragend, opferte eine Figur gegen einen
zentralen Bauernblock und es schien, dass dieser, einem
Bulldozer gleich, auf
dem Weg zur gegnerischen Grundreihe alles niederwalzen würde.
Die Stellung von Martin Neubauer schien zwar etwas
unbequemer zu sein, aber unmittelbare Gefahren waren nicht in
Sicht und ein Unentschieden war nach Lage der Dinge der
wahrscheinlichste Partieausgang. (Kommentierte Partien
Neubauer und Baumegger siehe Olympiasplitter.)
Dies hätte ein 2:2 und einen
weiteren sensationellen Matchpunkt bedeutet. Doch leider kam es
anders, unser Wunschkonzert wurde nicht gespielt! In schwieriger
Lage übersah Martin eine taktische Finte, die auf seiner
ungedeckten Damenstellung basierte. Danach blieb ihm nur die
Aufgabe übrig. Vielleicht hat dieser Umstand Siegi etwas
demotiviert, der ja nun
wusste, dass auch ein Sieg die Mannschaftsniederlage nicht mehr
verhindern konnte? Jedenfalls ließ er in der Folge den Gewinn
aus und sein Gegner entschlüpfte im letztlich entstandenen
Turmendspiel mit 2 Minusbauern noch in den Remishafen.
Das 1:3 gegen Slowenien entspricht zwar in etwa der Papierform,
keine Frage aber, dass in dieser Begegnung das Spielglück nicht
auf unserer Seite war.
Heute geht es bei den Herren gegen Portugal um zwei ganz
wichtige Matchpunkte, also bitte fest die Daumen drücken. Milan
Novkovic ist gestern Abend übrigens im Teamlager eingetroffen
und er erzählte mir heute beim Frühstück, dass unglaublich
viele Schachfreunde zuhause die Partien unserer Mannschaften
interessiert mitverfolgen. Auch
erhielt ich Emails mit Anfeuerungen und Glückwünschen für
unser Team. An dieser Stelle im Namen der Mannschaft vielen Dank
dafür und liebe Grüße zurück nach Österreich. Euer Daumendrücken
ist selbstverständlich zusätzliche Motivation für jeden
einzelnen Spieler, jede einzelne Spielerin!
Und somit wären wir auch schon bei den Damen:
Damen Runde 7
Br. |
6 |
Armenia
(ARM) |
Elo |
- |
36 |
Austria
(AUT) |
Elo |
3
: 1 |
16.1 |
IM |
Mkrtchian Lilit |
2443 |
- |
IM |
Moser Eva |
2376 |
½ - ½ |
16.2 |
WGM |
Aginian Nelly |
2325 |
- |
WFM |
Kopinits
Anna-Christina |
2270 |
1 - 0 |
16.3 |
WIM |
Galojan Lilit |
2305 |
- |
WFM |
Novkovic Julia |
2161 |
1 - 0 |
16.4 |
WIM |
Andriasian
Siranush |
2290 |
- |
WIM |
Mira Helene |
2115 |
½ - ½ |
Nach Russland mussten sie gegen Armenien ran, eine kaum
leichtere Aufgabe. Allerdings ist unser Team bereits so kompakt,
dass wir auch solchen Weltklasseteams gehörigen Widerstand
entgegensetzen können. Dies zeigte vor allem wieder unser Brett
1. Eva Moser sah sich am Spitzenbrett wiederum mit Lilith
Mkrtchian konfrontiert. Warum wiederum? Die Armenierin war ja
die Gegnerin, gegen die Eva vor kurzem bei der Damen-WM in
Nalchik /Russland auf etwas unglückliche Weise erst im
Blitzentscheid ausgeschieden ist. Die beiden kennen sich also –
was die gegenseitigen Stärken und Schwächen
betrifft – genauestens! Es entwickelte
sich in der Tat ein heißes Gefecht, das lange Zeit im Zeichen
Evas stand. Allerdings ließ sie die Armenierin wieder ins Spiel
kommen und musste schlussendlich gar ums Remis bangen. Die
Punkteteilung nach
wechselvollem Partieverlauf war schlussendlich ein gerechtes
Ergebnis.
Dynamisches Schach unter den Augen des Bundestrainers
Remis hielt auch Helene Mira ihre Partie. Nach dem sie die Eröffnungsphase
gut hinter sich gebracht hatte, konnte sie die statische Schwäche
ihres Doppelbauern immer mit aktivem Gegenspiel kompensieren.
Ihrer Gegnerin gelang es nicht, die weiße Stellung ernsthaft zu
gefährden. Helene hatte die Partie sehr aufmerksam gespielt und
wurde mit einem schönen halben Punkt belohnt. Super!
Schade, dass Tina Kopinits im
Mittelspiel durch einige ungeduldige Züge eine gute Stellung
verdarb und taktisch ausgeknockt wurde. Die schwerblütige
Positionspartie von Julia Novkovic war durch zähe, langsam
wirkende Figurenmanöver geprägt und man wusste lange Zeit
nicht, was in der Stellung eigentlich los war. Erst in der
abendlichen Analyse
weihte uns Julia in ihre tiefsinnigen Gedankengänge ein, die
sie während der Partie entwickelt hatte. Als die Armenierinnen
allerdings ihren Hauptplan auspackte und den Angriff mittels
f2-f4 begann, wurde klar, dass dies in der Tat ein ausgesprochen
gefährliches Konzept war, dem Schwarz
nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hatte.
Armeniens Team in der Brettreihenfolge.
Fazit: Auch bei den Damen eine 1:3 Niederlage gegen das
Weltklasseteam aus Armenien. Heute geht es gegen die Türkei.
Aufpassen! Eine sehr giftige, junge Mannschaft, emporgespült
durch einen wahren
Schachboom, der momentan in der Türkei herrscht. Viele
hervorragende Trainer arbeiten in der Türkei, das die große
Vision hat, in den nächsten Jahren nicht nur das Breitenschach
auf solide Fundamente zu stellen, sondern auch mehrere
Weltklassespieler hervorzubringen. Adrian Mihalchishin und
Mikhail Gurevich sind die bekannteste Trainer, die momentan am
Bosporus mithelfen, dieses kühne Vorhaben zu verwirklichen. Es
wird also auch heute kein Honiglecken für unser Team, aber am
Abend wissen wir mehr.
Heute wartet das junge türkische Damenteam
vorbereitet von Cheftrainer Gurevich
Also bitte, meine Damen, macht es besser als unser Fußballteam,
das vor einigen
Tagen gegen die Türkei 2:4 unterging. Revanche ist angesagt -
lang lebe der König!
Im
Gespräch mit Zoltan Ribli
Gestern bot sich mir die glückliche Gelegenheit, mit Zoltan
Ribli, dem Trainer unseres Herrenteams, ein Gespräch zu führen.
Der sehr sympathische Großmeister, der übrigens
hervorragend Deutsch spricht, erklärte sich sofort
bereit, einige Fragen zu beantworten und so möchte ich es nicht
verabsäumen, den österreichischen Schachfreunden zu Hause das
folgende Interview zu liefern:
Frage: Herr Ribli, man braucht Sie dem interessierten österreichischen
Schachpublikum nicht mehr vorzustellen, Ihre Erfolge sind hinlänglich
bekannt. Sie haben selbst für ihr Land 12 Olympiaden gespielt,
waren Olympiasieger, Weltmeisterschaftskandidat und in Ihrer
Glanzzeit unter den besten 5 Spielern der Welt. Wie sind Sie als Topspieler dazu gekommen, in Österreich
als Trainer zu
arbeiten?
Antwort: (lacht
und korrigiert mich) Ich spiele seit vielen Jahren gar kein
ernsthaftes Wettkampfschach mehr! Zumindest habe ich seit langem
kein Turnier mehr gespielt, ab und zu spiele ich noch in
Mannschaftskämpfen. Aber auch in der deutschen Bundesliga wird
es für mich heuer die letzte Saison. Ich kam als Trainer nach
Österreich, weil ich hier sehr gute Bedingungen vorfinde. Vor
drei Jahren war diesbezüglich das entscheidende Ereignis,
Schach wurde offiziell als Sport anerkannt. Als mittels einer
Ausschreibung ein Trainer gesucht wurde, habe ich mich beworben.
Meine Motivation und zugleich meine Aufgabe sehe ich darin, das
Niveau des österreichischen Schachs zu heben. Und ich denke,
wir sind seit drei Jahren auf dem richtigen Weg.
Frage: Was halten Sie eigentlich von der Nummer 1 im österreichischen
Olympiateam, von Markus Ragger?
Antwort: Er ist seit vielen Jahren, vielleicht seit Josef
Klinger, das erste wirklich große Talent in Österreich. Mit
Stanec habe ich nicht gearbeitet, ihn kenne ich zu wenig. Unter
Talent verstehe ich übrigens jemanden, der das Potential zu
einem sehr guten Großmeister besitzt, ein Spieler, der weit
mehr als 2500 Elopunkte erreichen kann. Für Markus war
der Zivildienst leider ein großer Nachteil, da er 9 Monate lang
nicht genügend Zeit zum Trainieren hatte. (Anmerkung:
Markus arbeitete während seiner Zivildienstzeit in einem Heim für
Behinderte. Die sehr intensive Arbeit dort nahm einen Großteil
seiner zur Verfügung stehenden Zeit in Anspruch.) Seit Juni hat
er ihn nun beendet, und das merkt man. Er hat ja schon in Leoben
die Staatsmeisterschaft sehr gut gespielt und verdient gewonnen.
Markus ist auch ein
sehr fleißiger Spieler, der seine Eröffnungen sehr genau
studiert und viel arbeitet und analysiert.
Frage: Nicht jeder
kann ein Ragger werden. Was raten Sie Spielern ganz allgemein,
um ihre Spielstärke zu verbessern?
Antwort: Natürlich, in Österreich kann kaum ein Spieler vom
Schach leben, vielleicht Markus einmal. Aber wichtig ist für
alle Lernenden, dass sie das
lernen, was man lernen kann: Und das sind nun einmal die Eröffnungen
und die Endspiele. Man soll
nur korrekte Eröffnungen wählen und darf diese nicht schlampig
spielen. Das präzise Eröffnungsspiel führt dazu, dass man
immer öfter bekannte Stellungen erreichen wird, was zu besseren
Ergebnissen führt. Bis vor wenigen Jahren gab es in Österreich
zwei große Probleme. Das Eröffnungsniveau war sehr niedrig und
ein zweiter Problempunkt war, dass die Österreicher nur in Österreich
spielten. Zumindest der erste Punkt wird langsam besser! Ich würde
als gute Schachbücher übrigens die Eröffnungsreihe „According
to Kramnik“ empfehlen.
Frage: Geben Sie auch anderen Schachtrainern in Österreich
Hilfestellung?
Ich weiß, dass in Vorarlberg Milan Novkovic mit Luca Kessler
trainiert und in der Steiermark Gert Schnider mit
Huber. Mit ihnen bin
ich in Kontakt, auch mit dem Bundesjugendtrainer Siegfried
Baumegger.
Frage: Kommen wir zur Olympiade hier in Dresden. Wo sehen Sie
als Trainer des Herrenteams ihre Hauptaufgabe?
Antwort: (lacht) Das wichtigste ist eine gute Platzierung. Ich bin für die Aufstellungen verantwortlich. Das ist
besonders am Anfang eine schwierige Sache, weil man die Form der
Spieler erst einschätzen muss: Eine gewisse Ausnahme im Team
stellt Markus Ragger dar. Er ist die Nummer 1 und kann spielen,
wann er will. Das
war auch in meiner Zeit so, als Portisch die Nummer 1 im
ungarischen Team war. Ein Spitzenspier am 1. Brett in guter Form
ist für eine Mannschaft überaus wichtig, und Markus ist in
guter Form! Für die jeweilige Aufstellung mache ich mir
Gedanken über Gegner, Form und Farbverteilung.
Frage: Was ist bei der Eröffnungsvorbereitung besonders
wichtig?
Antwort: Ich denke, dass ein Spieler zwei Eröffnungen
beherrschen sollte. Das erleichtert die Vorbereitung erheblich.
Da ich viele Spieler kenne, kann ich auch häufig erraten, was
der Gegner spielen wird.
Frage: Können Sie uns zum Abschluss etwas über ihre Eindrücke
zur Olympiade sagen?
Antwort: Die Olympiade hier ist perfekt organisiert, wir sind
gut untergebracht, das Hotel ist in Ordnung und der Weg zum
Spielsaal ist nicht zu weit. Auch das Wetter passt – bisher
zumindest. Allerdings sind die Spielbedingungen nicht optimal.
Die Halle, so groß sie auch sein mag, ist zu klein, um das
gesamte Turnier unterzubringen. Dadurch herrscht ziemliches Gedränge.
Frage: Und was sagen sie zum Abschneiden ihrer Schützlinge bis
jetzt?
Antwort: Die Eloperformance, besonders
der ersten beiden Bretter, ist hervorragend, da
braucht man sich nur die Zahlen anzusehen. Mich überrascht
auch das äußerst starke Spiel von Kindermann bisher. Aber alle
Spieler geben ihr bestes und zeigen großen Einsatz.
Herr Ribli, vielen Dank für das Gespräch und noch alles Gute für
die letzten vier Runden!
Zoltan Ribli
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