Dresden-Tagebuch
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Ein toller Tag für beide österreichischen Teams, keine einzige
individuelle Niederlage und zwei souveräne Mannschaftssiege! In
diesem entscheidenden Schlussdrittel, wo jeder einzelne
Matchpunkt Goldstaub bedeutet, schmecken diese Punkte natürlich
doppelt süß. Es ist aber auch erstaunlich, wie grandios beide
Teams ihre Punkte herausspielen. Enormer Kampfgeist prägen
sowohl die Partien unser Damen als auch unserer Herren.
Herren Runde 8
Br. |
61 |
Portugal
(POR) |
Elo |
- |
54 |
Austria
(AUT) |
Elo |
1½:2½ |
26.1 |
GM |
Galego Luis |
2484 |
- |
GM |
Ragger Markus |
2518 |
½ - ½ |
26.2 |
FM |
Dias Paulo |
2406 |
- |
GM |
Kindermann Stefan |
2517 |
0 - 1 |
26.3 |
IM |
Rocha Sergio |
2417 |
- |
IM |
Neubauer Martin |
2422 |
½ - ½ |
26.4 |
FM |
Pereira Ruben |
2437 |
- |
IM |
Baumegger
Siegfried |
2445 |
½ - ½ |
Los geht´s
Beginnen wir mit ihnen. Auf Brett 1 gelingt es dem
portugiesischen Großmeister Galego nicht, Markus Ragger unter
Druck zu setzen. Im Gegenteil, nach dem eigenartigen weißen
Bauernzug f2-f4 spielt Markus konsequent auf das schwache Feld
e4 und beraubt Weiß jeglicher Möglichkeiten, das Spiel zu
verschärfen. Mit
einem Seitenblick auf die hervorragende Stellung von Kindermann
auf Brett 2 kann es sich Markus leisten, die Partie remis zu
geben.
Markus Ragger
Stefan Kindermann hat seinen Ruhetag offenbar glänzend
genützt. Nachdem er uns bereits mit einem feinen Schwarzsieg in
der französischen Verteidigung viel Freude bereitet hat, saß
er heute auf der anderen Seite des Brettes. Mit Weiß bekämpft
er selbst seine Lieblingsverteidigung. Den schwachen Zug …gxh6
bestrafte er umgehend in der für ihn typischen, konsequenten
Art. Prädikat: beeindruckend!
Den Königsbauern im Visier: Stefan Kindermann
Siegi Baumegger auf Brett 4 spielte sehr druckvoll und erlangte
rasch Initiative. Sein Gegner musste die Qualität geben,
erhielt allerdings gewisse Kompensation in Form eines
Mehrbauern. Nach dem Sieg von Stefan auf Brett zwei wickelte er
geschickt in eine klare , „unverlierbare“
Remisstellung ab. Eine weitere Französisch-Partie war
auf Brett drei zu sehen. Martin Neubauer spielte mit dem Flügelvorstoß…g5
auf die Zertrümmerung des weißen Zentrums, was ihm
hervorragend gelang. Aus den Verwicklungen kam er mit einem
Mehrbauern hervor, den er leider nicht siegbringend umsetzen
konnte. Allerdings blieb es ihm vorbehalten, mit seinem
Unentschieden unseren Matchsieg sicherzustellen.
Dieser äußerst wichtige Sieg hievt das Team momentan auf den
32. Platz, beschert ihm
aber mit Litauen einen extrem starken Gegner. Kveinys,
Rosentalis oder Sulskis, allesamt Großmeister allererster
Klasse, werden es unserer Mannschaft nicht leicht machen, doch
wir drücken ganz fest die Daumen und freuen uns schon auf 15
Uhr.
Damen Runde 8
Br. |
36 |
Austria
(AUT) |
Elo |
- |
42 |
Turkey
(TUR) |
Elo |
3
: 1 |
23.1 |
IM |
Moser Eva |
2376 |
- |
WIM |
Topel Zehra |
2214 |
1 - 0 |
23.2 |
WFM |
Kopinits
Anna-Christina |
2270 |
- |
WIM |
Yildiz Betul
Cemre |
2219 |
½ - ½ |
23.3 |
WFM |
Novkovic Julia |
2161 |
- |
WFM |
Ozturk Kubra |
2254 |
½ - ½ |
23.4 |
WIM |
Mira Helene |
2115 |
- |
WFM |
Bayrak Asli |
2005 |
1 - 0 |
Türkei gegen Österreich
Tolles Schach in der 8. Runde boten auch unsere Damen, allen
voran wiederum Eva Moser. Ihr Erfolgslauf wird mittlerweile
unheimlich, 6 aus 7 am Spitzenbrett (Performance 2543) sind
wirklich ein sagenhaftes Resultat. Der großartige
Schlussangriff besitzt Modellcharakter und könnte in jedes
Taktiklehrbuch Eingang finden (siehe
Olympiasplitter). Den zweiten Sieg steuerte Helene
Mira auf Brett 4 bei. Schön anzusehen war es, wie sie es
schaffte, nach dem optimistischen Qualitätsopfer ihrer Gegnerin
die Türme aktiv ins Spiel einzubinden und die Initiative zu übernehmen.
Die zusehends nervöser agierende Türkin stellte schließlich
gar eine Figur ein.
Tina Kopinits erspielte sich eine deutlich vorteilhafte
Stellung, allerdings machte ihr wieder einmal die leidige
Zeitnot einen Strich durch die Rechnung. Eine nette
Schlusskombination sicherte ihr am Ende Dauerschach.
Dass die spanische Abtauschvariante durchaus nicht langweilig
sein muss, sondern faszinierende Partien hervorbringen kann,
beweist auf Brett 3 Julia Novkovic.
Die Partie war in allen Phasen hochinteressant und die
abendliche Analyse zeigte, dass Julia durch beinahe studienhafte
Wendungen den Gewinn hätte erzwingen können (siehe
Olympiasplitter).
Somit haben unsere Damen den nächsten tollen Erfolg
herausgespielt. Das 3:1 gegen die Türkei bringt sie auf den 24.
Platz! Morgen geht es gegen Moldawien darum, diese sensationelle
Platzierung zu verteidigen.
Lang lebe der König!
Das bisher so erfolgreiche Damenteam
Eva Moser
"Tina" Kopinits
Julia Novkovic
Helene Mira
Mr. Chess-Results im Interview
Ein Österreicher, der seit Beginn der Olympiade im Hintergrund
eifrig seine Fäden spinnt, wurde
bislang noch nicht vorgestellt, es ist der Wiener
Computerexperte Heinz Herzog, der mit seinem Programm Swiss
Manager in Schachkreisen mittlerweile weltweit
bekannt ist. Im Pressezentrum ergab sich die Gelegenheit, mit
ihm zu plaudern.
Frage: Heinz, wir haben bereits in Turin vor zwei Jahren ein
interessantes Gespräch geführt, danke dass du dir auch heute
wieder Zeit genommen hast. Dein
Programm Swiss Manager wird hier in Dresden für die
Rundenauslosung verwendet. Seit wann bist du in diesem
Aufgabengebiet bei Olympiaden dabei?
Antwort: Das ist bereits meine vierte Olympiade nach Bled, Calvia
und Turin.
Frage: Schachspieler müssen sich auch für ein Turnier
vorbereiten, wie sah deine Vorbereitung als Programmierer aus?
Antwort: Da die Auslosungsregeln geändert wurden, musste ich
das Programm entsprechend umändern, denn diese neuen Regelungen
mussten erst eingebaut werden. Einige Regeln, z.B. wie die
einzelnen Ränge ermittelt werden, waren zudem nicht absolut
klar. Es muss sehr viel getestet werden und gewisse Dinge
bemerkt man erst hier bei der Olympiade, wo dann auch
Adaptierungen vorgenommen werden.
Frage: Auf deiner Akkreditierungskarte steht das Kürzel TAP.
Was bedeutet das eigentlich?
Antwort: TAP steht für“ Technical Administration Panel“,
das bedeutet eigentlich Paarungskommission. Dieses Team,
das für die korrekte Auslosung zuständig ist, besteht aus mir,
aus Werner Stubenvoll, aus dem deutschen Vertreter Ch. Krause,
dem Israeli A. Burstein und die Oberaufsicht führt
Hauptschiedsrichter Ignatius Leong. Werner Stubenvoll ist für
die Auslosung bei den Herren verantwortlich, ich für die
Auslosung bei den Damen.
Christian Krause hat ebenfalls ein Auslosungsprogramm erstellt,
und auch er lost jede
Runde aus. Wir vergleichen dann eventuelle Abweichungen und bei
Nichtübereinstimmung wird manuell kontrolliert und die
Auslosung richtig gestellt.
Frage: Eine Runde hat ja um eine Stunde später als geplant
begonnen. Was weißt du näheres darüber?
Antwort: Aus den Hotels sind die Spielerpaarungen zu spät bei
uns eingetroffen. Das ist in der Tat sehr ungewöhnlich,
angeblich ist es aber nicht das allererste Mal bei einer
Olympiade passiert.
Frage: Wie gefällt die die Olympiade in Dresden im Vergleich zu
den anderen, die du schon erlebt hast?
Antwort: Nun ja, der Turniersaal in Turin hat mir besser
gefallen, da war mehr Platz vorhanden. Auch sind die
Arbeitsbedingungen für uns nicht ganz optimal. Wir sitzen in
zwei kleinen Kammerln auf der Brücke über dem Hauptspielsaal.
Frage: Neben der Kontrolle der Auslosung, was sind hier deine
weiteren Aufgabengebiete?
Antwort: Während der Runde habe ich durchaus Zeit, mir einige
Partien anzusehen, aber nach Rundenschluss beginnt die Arbeit.
Partieformulare werden überprüft, ob die aufscheinenden
Ergebnisse mit dem Matchprotokoll übereinstimmen.
Sehr viel Arbeit nimmt die Erstellung von verschiedensten
Datenfiles in Anspruch. Alle Ergebnislisten, die hier in der
Halle hängen, seien es nun Ranglisten, Mannschaftsergebnisse,
TOP-Elo-Leistungen oder individuelle Performances, werden von
mir erstellt. Pro Tag erstelle ich 60 (!) verschiedene Files,
und das immer unter Zeitdruck. Jeder will seine Liste immer
besonders schnell haben!
Frage: Dein Programm Swiss Manager ist ja mittlerweile
weltbekannt. Ist es schon perfekt oder hat es noch
Verbesserungspotential?
Antwort: Kein Programm ist jemals ganz perfekt. Ich plane z.B.
eine Unicode-Unterstützung einzubinden. Damit wäre das
Programm auch für
alle Sprachen anwendbar, z. B. auch für Chinesisch und
Japanisch. Das ist allerdings sehr arbeitsaufwändig, alle 150.000
Programmzeilen müssen auf sogenannte Unicode-Fähigkeit
durchforstet werden.
Frage: Das Programm ist ja sozusagen dein Baby, du hast es in
die Welt gesetzt und großgezogen. Wie viele Arbeitsstunden
stecken im Swiss Manger?
Antwort: Das werden wohl an die 3500 Stunden sein! Zusätzlich
bearbeite ich mittlerweile an die 4000 Emails jährlich, wo ich
z.B. Supportfragen, die mich aus der ganzen Welt erreichen,
beantworte.
Frage: Kann man von diesem Programm leben?
Antwort: Ach wo, keine Spur. Das ist ein Hobby von mir. Unter
wirtschaftlichem Gesichtspunkt betrachtet ist es völlig
unrentabel. Der Markt für das Programm ist aber noch nicht gesättigt,
so wird es nun z.B.
auch in Äthiopien oder Nigeria verwendet.
Frage: Heinz, dein Programm kennt man überall, aber wer ist der
Mensch, der es programmiert hat? Kannst du dich den österreichischen
Schachfreunden vorstellen?
Antwort: Ich bin 46 Jahre alt, lebe in Wien im 23. Bezirk und
bin beruflich für die Bank Austria tätig. Ich bin selbst
Schachspieler, allerdings seit 10 Jahren kaum mehr aktiv. Ich
schaue aber gerne mal zu, auch im Internet, bei den Übertragungen
unserer Bundesliga. Ich war vor 30 Jahren übrigens Wiener
Jugendmeister. Wenn es meine Zeit erlaubt, unternehme ich mit
meiner Frau gerne Reisen.
Frage: Erinnerst du dich zurück an die Olympiade von Bled, wie
ist es eigentlich dazu gekommen, dass du hier bei Olympiaden mit
deinem Programm die Auslosungen durchführst?
Das war sehr interessant. Die FIDE hat mein Programm zur
Auslosung verwendet, ich war allerdings als Privatmann in Bled
erst nach der ersten Runde vor Ort, und nachdem das Turnier
schon begonnen hatte, bekam man Schwierigkeiten mit dem
Programm. So half ich aus
und adaptierte das Programm direkt während der Olympiade!
Frage: Wenn man dein Programm erwerben möchte, wie viel kostet
es?
Antwort: Der Preis beträgt 199 €, die Updates sind kostenlos.
Lieber Heinz, herzlichen Dank für das Interview. Alles Gute
noch für dein Team
in den letzten Runden!
Heinz Herzog (re) im Gespräch mit Karl-Heinz Schein
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