Dresden-Tagebuch
11
Gestern durfte man in der Kongresshalle einen ganz besonderen Gast begrüßen;
kein Geringerer als der legendäre Exweltmeister Anatoly Karpov
sorgte vor Beginn der 9. Runde für ein wahres
Blitzlichtgewitter. „Ich habe den Schnee aus Moskau
mitgebracht!“, meinte er gut gelaunt im Hinblick auf den auch
in Dresden erfolgen Wintereinbruch. Ich hatte das Glück, auf
der seperaten Bühne für die Spitzenbretter hautnah dabei zu
sein, als er im Wettkampf Deutschland gegen Polen den ersten Zug
am Brett von Daniel Friedmann ausführte. Ein tolles Erlebnis.
Es war für mich sozusagen ein Abschiedsgeschenk, denn ich werde
heute Dresden verlassen. Beim bundesweiten
SchachlehrerInnenseminar in Weyregg am Attersee werde ich
ab Montag von meinen Eindrücken in Dresden berichten. Ich freue
mich schon sehr darauf und grüße von hier ganz besonders die
„Weyregger Elitetruppe!“
Unsere SchachpädagogInnen
werde ich mit den glänzenden Partien der rotweißroten Equipe
verwöhnen.
Zurück zu
Anatoly Karpov. Er erzählte in der abendlichen Pressekonferenz
sehr interessante Begebenheiten aus seiner Schachkarriere. So
erklärte er freimütig, dass er Bobby Fischer mehrmals
getroffen habe. Er sei ein sehr netter Mensch gewesen, und dann
fügte er schmunzelnd hinzu, - solange
man sich mit ihm über Schach unterhalten habe. Auch über
Viktor Korchnoj wusste er fesselnd zu erzählen. Man höre und
staune, er habe vor zwei Jahren mit ihm gemeinsam in einer
Mannschaft gespielt und sei überrascht gewesen, wie teamfähig
„Viktor der Schreckliche“
geworden sei. Das sei früher anders gewesen, als er noch
in der sowjetischen Auswahl gespielt habe. Im Übrigen drückte
er seine Bewunderung für den Kampfgeist des 77-jährigen
Veteranen aus. Dass dieser in diesem Alter die Spannung über
die volle Spieldisziplin halten könne, sei eine phantastische
Leistung.
Schachlegende Anatoly Karpov
Und phantastisch waren auch heute wieder die Leistungen unserer
beiden Teams, vor allem aber unserer Spitzenbretter.
Herren Runde 9
Br. |
54 |
Austria
(AUT) |
Elo |
- |
35 |
Lithuania
(LTU) |
Elo |
2
: 2 |
21.1 |
GM |
Ragger Markus |
2518 |
- |
GM |
Kveinys Aloyzas |
2533 |
1 - 0 |
21.2 |
GM |
Kindermann Stefan |
2517 |
- |
GM |
Rozentalis
Eduardas |
2577 |
0 - 1 |
21.3 |
IM |
Atlas Valery |
2465 |
- |
GM |
Sulskis Sarunas |
2572 |
½ - ½ |
21.4 |
IM |
Neubauer Martin |
2422 |
- |
IM |
Zagorskis Darius |
2509 |
½ - ½ |
Bei den Herren erwies sich Markus am 1. Brett wiederum als
„Sizilianisch-Killer“. Zoltan Ribli meinte, dass Markus in
letzter zeit beinahe 80% seiner Weißpartien gegen Sizilianisch
gewinnt. Auch die heutige Partie war da keine Ausnahme. Zuerst
einige Bauern gewinnen, dann die Initiative des Gegners
neutralisieren und schließlich den Materialvorteil im Endspiel
verwerten. So einfach wie es sich hier anhört, so einfach
schien es für Markus zu sein, der mit großer Sicherheit den
Kurs durch die zahlreichen taktischen Fallstricke fand. Ein Sieg
am Spitzenbrett ist in diesen Mannschaftskämpfen auf vier
Brettern ungeheuer viel wert.
Österreichs Team (re) gegen Litauen
Nachdem Martin Neubauers Partie remis geendet hatte, lag es an
den verbliebenen zwei Spielern, wie der Mannschaftskampf
ausgehen würde. Und es hing wahrlich an einem seidenen Faden.
Stefan Kindermann wehrte sich mit einem Minusbauern großartig
gegen Rosentalis und erhielt zuerst Remischancen und schließlich
im Turmendspiel eine klare Remisstellung, wie
Trainer Ribli am Abend im Hotel sofort zeigte.
Leider fand Stefan diese Möglichkeit nicht und verlor.
Danach wurde die Partie von
Valery Atlas sofort remis gegeben und der Wettkampf
endete mit einem Unentschieden, das eine kleine Träne im Auge
hinterlässt. Um ein Haar hätten wir Litauen besiegt, eine
Mannschaft, die am 3. Brett noch einen Top-Großmeister mit 2570
Elopunkten aufweist!
Ribli und Jungwirth sehen Atlas und Kindermann über die
Schulter
Einen kleinen Bogen zu Karpov kann man noch schlagen: Morgen
spielen die Herren gegen Usbekistan. Dort wird mit Rustam
Kasimdzhanov, sofern er aufgestellt wird, ein
(nicht ganz so berühmter, aber immerhin) Eweltmeister am
Spitzenbrett Platz nehmen.
Damen Runde 9
Br. |
32 |
Moldova
(MDA) |
Elo |
- |
36 |
Austria
(AUT) |
Elo |
2
: 2 |
16.1 |
IM |
Petrenko Svetlana |
2285 |
- |
IM |
Moser Eva |
2376 |
0 - 1 |
16.2 |
WGM |
Smokina Karolina |
2235 |
- |
WFM |
Kopinits
Anna-Christina |
2270 |
1 - 0 |
16.3 |
WGM |
Partac Elena |
2168 |
- |
WFM |
Novkovic Julia |
2161 |
½ - ½ |
16.4 |
WIM |
Bulmaga Irina |
2287 |
- |
|
Newrkla Katharina |
2071 |
½ - ½ |
Ein ganz ähnliches
Szenario bei den Damen. Eva Moser spielt weiterhin in einer
phantastischen Form und gewinnt wieder, diesmal mit Schwarz und
wiederum höchst überzeugend. Aus 8 Partien gegen starke
Gegnerinnen hat sie nun 7 Punkte erzielt und lässt mich
sprachlos vor Staunen zurück. Ich kann mir ihren grandiosen
Lauf nur so erklären: „Wenns
laft, doun laafts!“
Moser und Kopinits
Die wahnsinnig komplizierte Partie auf
Brett 2 sah leider aus österreichischer Sicht die falsche
Siegerin. Ähnlich
wie am Brett 2 des Herrenteams war die Niederlage nicht
zwingend. Tina hatte sich eine deutlich bessere Stellung
herausgespielt, fand aber in der entscheidenden Phase nicht die
stärkste Fortsetzung. Die Partie war aber äußerst sehenswert
und für die Zuseher enorm spannend. Die Partien auf Brett 3 und
4 fanden beide einen friedliche Abschluss, und damit ergab sich
das genau gleiche Bild wie bei den Männern. Sieg am
Spitzenbrett, Niederlage auf Brett 2 und der Rest remis. Ein 2:2
gegen Moldawien ist ein Ergebnis, mit dem man gut leben kann.
Novkovic und Newrkla
Alles wird nun von den kommenden beiden Runden abhängen, die
ich wie ihr alle zuhause dann mittels Internetübertragung
verfolgen werde. Es geht morgen gegen Italien, das mit Großmeisterin
Sedina am Spitzenbrett uns er Team gewaltig fordern wird.
Blicken wir nochmals auf die Stadt Dresden, bevor sie der Winter
in ein weißes Kleid hüllen wird. Das berühmteste Bauwerk der
Stadt habe ich euch noch vorenthalten:
Ein Blick nach Dresden - Der Zwinger
Das barocke
Bauwerk Zwinger entstand im Jahre 1709
zunächst nur als ein von Holzgebäuden umrahmter Festplatz für
Turniere und anderer höfischer Spiele des sächsischen Adels
als eine Art Amphitheater. Die Bezeichnung Zwinger entstammt der
ursprünglichen Lage zwischen äußerer und innerer
Festungsmauer. Von 1710 bis 1719 ließ ihn August der Starke durch den Landesbaumeister Matthäus Daniel Pöppelmann in seiner
jetzigen Gestalt in Sandstein errichten. Die Pavillons und
Galerien auf der Wallseite, welche zuerst entstanden, dienten
als Orangerie.
Um seinen Adel zu unterhalten, ließ sich Kurfürst Friedrich
August I. einiges einfallen. Exotische Pflanzen und gestaltete
Rasenflächen boten einen paradiesischen Eindruck. Orangenbäume
mit leuchtend runden Früchten verzauberten den Innenhof zu
einem wundervollen Anblick. Die Bildhauer, darunter Balthasar Permoser, schufen einzigartige
Skulpturen zur Verschönerung der Gebäude. 21 verschiedene,
mannshohe Pan-Figuren stützen noch heute die Außenwände
der Galerien. Satyrhermen tragen die Last der Portale.
Die von Pöppelmann geplante Erweiterung der Anlage bis ans
Elbufer blieb zunächst unausgeführt, der bildhauerische
Schmuck unvollendet. 1828 entstand in den Festungsanlagen am
Zwingerwall die erste deutsche Gemeinde-Gasanstalt. Diese
versorgte 36 Gaslaternen in der Umgebung.
Erst 1847-1854 wurde die offene Elbseite des Zwingers durch die
von Gottfried Semper geschaffene „Gemäldegalerie“
geschlossen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Zwinger durch den
Bombenangriff vom 13. Februar 1945 schwer beschädigt. Der
Wallpavillon wurde von einer Mine getroffen, woraufhin die
angrenzenden Bogengalerien mit zerstört wurden. Das Kronentor
und der Glockenspielpavillon brannten vollständig aus. Die Gemäldegalerie
wurde nur auf der nördlichen Seite zerstört. Das südwestlich
hiervon angrenzende Nymphenbad blieb so erhalten. Bereits 1963
war der Wiederaufbau weitgehend abgeschlossen.
Im Jahr 2002,
dem Jahr der "Jahrhundertflut", stieg der Pegel,
der in unmittelbarer Nähe zum Zwinger verlaufenden Elbe
auf bis zu 9,40 Meter an. Doch nicht nur sie trat über die
Ufer, sondern auch die Weißeritz
im Westen der Stadt. Dresden wurde aus zwei Richtungen überflutet
und der Zwinger lag mitten im Zentrum. Trotz großen Einsatzes
von Feuerwehr und Technischem Hilfswerk wurde der Innenhof des
Zwingers überflutet. Erst mehrere Tage nach Ende des
Hochwassers war der ganze Innenhof wieder leer gepumpt. Es
traten beträchtliche Schäden auf.
Bis auf den verloren gegangenen Blick auf die Sophienkirche präsentiert sich der Zwinger
heute weitestgehend wieder so wie im Vorkriegszustand.
Der in aller Welt bekannte und wohl der am meisten fotografierte
Teil des Zwingers ist das Kronentor.
Das Kronentor zeigt durch die Säulenarchitektur Merkmale des
italienischen Hochbarocks und antiker Elemente eine ´harmonische
Verschmelzung eines Triumphbogens und eines Torturms´. Über
den Säulen des Torweges prangen das königliche Zepter, die
gekreuzten Schwerter und über dem Torbogen wieder das sächsische
Wappen. Außerdem zeigt das Kronentor noch griechische Helden
und Götter z.B. Herkules, Athene noch weitere Wassergottheiten.
Auf der Turmspitze tragen vier polnische Adler die Nachbildung
der polnischen Königskrone. Das Dach besteht aus vergoldetem
Kupfer und zeugt für die sächsische Prachtentfaltung.
Zum Abschluss meiner Berichte aus Dresden
darf ich euch heute noch ein Highlight anbieten: Das
Interview, das mir freundlicherweise
gestern Abend Markus Ragger gegeben hat:
Ragger Interview
Frage: Markus, du bist internationaler
Schachgroßmeister, regierender Staatsmeister und vertrittst Österreich
hier in Dresden am Spitzenbrett: Eine tolle Karriere, zu der dir
alle österreichischen Schachfreunde herzlich gratulieren. Du
hast dir mit dem Erlangen des Großmeistertitels bestimmt einen
Traum erfüllen können. Aber erzähle einmal, wie hat alles
begonnen, wie ist Markus Ragger mit dem Schach in Kontakt
gekommen?
Antwort: Das war wirklich sehr interessant. Meine Mutter hat mir
auf einem Flohmarkt ein Schachbrett gekauft, da war ich erst
zwei oder drei Jahre alt. Natürlich ist das ungewöhnlich, aber
irgendwie muss ich meine Mutter auf das Schachspiel aufmerksam
gemacht haben. Vielleicht haben meine Augen besonders gestrahlt,
als ich das Brett sah! Damals
war ich natürlich noch zu klein um die Regeln zu verstehen,
aber ich spielte mit den Figuren so wie es andere Kinder mit
Bauklötzen tun. Ich glaube sogar, dieses Schachspiel
gibt es heute noch. Mit ca. 4 Jahren habe ich dann begonnen, bei
meinen Großeltern zuzuschauen. Oma und Opa spielten immer
gegeneinander. Mit 6 Jahren kam ich schließlich durch meinen
Onkel Bruno Stadler zum Schachverein Maria Saal.
Frage: Welchen Anteil
haben eigentlich deine Eltern an deiner schachlichen Karriere?
Antwort: Selbstverständlich einen sehr großen. Sie haben meine
Liebe zum Spiel immer gefördert, haben mich immer unterstützt
und auch viel Freizeit geopfert, um mich zu Wettkämpfen zu
begleiten. Auch haben sie immer mit mir mitgefiebert. Da kann
ich eine kleine Geschichte erzählen. Es war 1996, damals war
ich 8 Jahre alt und spielte in Menorca die Jugend WM U10. Milan
Novkovic war übrigens dort mein Betreuer. Ich habe gut
begonnen, 3 aus 6 erzielt und dann habe ich die letzten vier
Partien verloren. Das ging mir natürlich sehr nahe und ich
begann bitterlich zu
weinen. Als meine Mama dann meinte, wenn ich mir Niederlagen so
zu Herzen nehme, dann müsste ich wohl mit dem Schach aufhören,
da weinte ich noch viel lauter! Denn diese Drohung war eindeutig
schlimmer als die vier Niederlagen hintereinander! Gott sei Dank
hat meine Mutter das Ganze nicht wirklich ernst gemeint!
Frage: Wann wurde für dich deutlich, dass du das Zeug zu einem
Großmeister besitzt?
Antwort: Geträumt habe ich schon in meinen
Anfängen davon, einmal Großmeister zu werden. Nach der
Jugend WM U14 war mir klar, dass der GM-Titel konkret möglich
ist. Dort wurde ich Vierter, kämpfte aber bis zur letzten Runde
um den WM-Titel mit.
Frage: Markus, Talent allein reicht wahrscheinlich nicht aus, um
so stark zu werden; auch du musst an deinem Schach bestimmt hart
arbeiten. Welches Training hat dich nach vorne gebracht?
Antwort: Zuerst sicherlich das Eröffnungstraining mit Dusko
Pavasovic. Da lernte ich, wie man an Eröffnungen arbeitet, wie
man eigene Datenbanken anlegt, die wichtigsten Partien speichert
und analysiert. Ich
eignete mir eine gewisse Systematik an. Danach profitierte ich
sehr von der Zusammenarbeit mit Zoltan Ribli. Wir haben ein sehr
gutes Verhältnis und ich kann unheimlich viel von ihm lernen.
Frage: Hast du ein konkretes Vorbild?
Antwort: Eigentlich nicht, aber die Partien von Kramnik z.B.
gefallen mir sehr gut.
Frage: Dass du hier in Dresden so stark spielt, ist einfach
phantastisch. Viele Schachfreunde in Österreich sind vielleicht
überrascht, wie gut du mit Weltklassespielern mithältst. Kommt
das auch für dich selbst überraschend?
Antwort: Dass es so gut läuft, ist natürlich wunderbar. Ich
weiß schon, dass ich auch mit Topleuten recht gut mitspielen
kann, wenn ich die Eröffnung treffe. Da hat mir der Sieg gegen
Movsesian in der Bundesliga vor der Olympiade zusätzlich
Selbstvertrauen gegeben.
Frage: Wie gefällt die die Olympiade in Dresden eigentlich? Es
ist ja deine erste.
Antwort: Mir persönlich gefällt sehr gut, dass das Schach hier
so einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert besitzt.
Frage; Was sind eigentlich deine näheren und ferneren Ziele?
Antwort: Ich möchte mich ständig weiterverbessern,
in naher Zukunft für die EM., dort kann man sich auch für
die WM qualifizieren….
Frage: Du bist für viele junge SchachspielerInnen in Österreich
ein Vorbild. Ich weiß, dass nicht wenige Schachfreunde ihr Eröffnungsrepertoire
nach dir ausrichten und so wie du spielen wollen. Kannst du
ihnen einige Tipps geben?
Antwort: Wichtig ist vor allem, dass man selbst am Schach
arbeitet. Man muss eigenständig denken. Ein Trainer ist sehr
wichtig, aber man muss auch selbst alleine trainieren. Natürlich
ist auch der Computer wichtig, er hilft bei Eröffnungsanalysen.
Aber man muss auch am Brett ohne Computerhilfe analysieren. Ich
treffe mich z.B. manchmal zu Trainingssitzungen in Kärnten,
z.B. mit Harald Genser, wo wir Stellungen analysieren.
Lieber Markus, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute
weiterhin für deine zukünftige Karriere!
Damit verabschiede ich mich von euch allen und bitte, in den
beiden Schlussrunden nochmals fest die Daumen für unsere Teams
drücken!
Lang lebe der König!
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